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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons
Autoren: Patricia Holland Moritz
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Leute sterben auch dort.«
    Â»Schon klar. Aber nicht 18 … pardon , 19 Leute in nicht mal zwei Jahren.«
    Mark hielt sich nicht gerade für einen Moralisten; wie auch, als verheirateter Mann, der seine Frau betrog. Er fühlte wie Rebekka, empfand es genauso wie sie als befremdend, dass in einer Stadt wie Berlin in einer einzigen Firma so viele Mitarbeiter nacheinander starben, dafür schwülstig formulierte Traueranzeigen geschaltet wurden, und das Ganze niemandem auffiel, keinem Angehörigen und keiner Behörde. Und jetzt, beim Anblick der kleinen Schweißtröpfchen auf Nebels gefurchter Stirn, erinnerte sich Mark mit einem Gefühl der Genugtuung an den eigentlichen Grund seines Interesses an diesem Fall. Es gab genügend Leute, denen Marks Direktheit nicht passte. Er war der Don Draper des 21. Jahrhunderts, sagte seine Meinung und hatte sein eigenes Bild von Recht und Moral. Unter Nebel hatte Mark einst im Tatort-Team einer Mordkommission angefangen. In diesem Team wurde er als blutiger Anfänger pausenlos vorgeführt. Ständig hatten die Jungs den Karpfengriff an ihm ausprobiert, angeblich, um ihn zu schulen, nur dass einer Mark festgehalten, der andere seine Finger rechts und links in die Weichteile des Unterkiefers gedrückt hatte, bis Mark automatisch den Mund geöffnet hatte, und der dritte – Nebel – hatte dabeigestanden und vor Lachen glucksende Laute von sich gegeben. Nachdem Mark sich gewehrt und erfolgreich gegen diese Behandlung geklagt hatte, riefen sie ihm »Stück Scheiße« und »Unruhestifter« hinterher. Mark hatte das weggesteckt und war abends zu seiner Familie nach Hause gefahren mit der Genugtuung, dass genau jene Kollegen gerade in der S-Bahn ihre erste Flasche Bier köpften und als Gegenüber im Zweifelsfall nur einen anderen Säufer hatten. Angeblich wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen die Fälle von Mobbing nicht dokumentiert, und Zahlen über Klagen wegen Mobbings bei der Berliner Polizei gab es offenbar ebenso wenig. Dafür gab es so etwas wie ein Gedächtnis, und das von Mark Tschirner war sehr gut.
    Sein rückgratloser Ex-Chef war bereit, über eine suspekte Serie von Todesfällen hinweg zu sehen. Für Mark war das die ersehnte Steilvorlage, um seinem ehemaligen Kollegen ans Bein zu pissen.
    Â»Nichts davon gehört.«
    An der Art, wie Nebel seine Papierstapel immer wieder zurechtrückte, obwohl sie längst auf Kante lagen, erkannte Mark, dass das Gespräch beendet war.
    In diesem Beruf gab es nichts Schäbigeres, als von einem Jungspund niederen Dienstgrades auf etwas gestoßen zu werden, das man auch selbst hätte herausfinden können. Andererseits war Nebel froh, nicht mehr bei der Mordkommission zu arbeiten, sondern in die Brunnenstraße, unweit seiner Wohnung, wegbefördert worden zu sein. Referat Verbrechensbekämpfung. Kriminaldauerdienst. Eigentumsdelikte. Betäubungsmittelkriminalität. Betrug. Raub. Intensivtäter. Prävention für Jugendliche. Trotz alledem sah die Welt nach der Mordkommission plötzlich etwas weniger nach einem ganz schlechten Drehbuch aus, das zu verfilmen sich keiner wagte.
    Â»Mark, mal nicht den Teufel an die Wand und auch keine 19 davon.«
    Â»Hat sich schon mal einer den Firmenchef angeschaut?«
    Nebels Gesicht bekam zum ersten Mal so etwas wie einen Ausdruck. »Und warum?«
    Â»Vielleicht stinkt auch dieser Fisch vom Kopf?«
    Â»Aber Junge! Wollte ich in Berlin jeden Firmenchef durchleuchten, könnte ich das für die Steuerfahndung tun. Aber wir sind die Kripo, vergessen?«
    Mark nickte unmerklich. Der nichtssagende Ausdruck kehrte in Nebels Gesicht zurück.
    Â»Wer oder was hat dich überhaupt auf deinen schrägen Mordverdacht gebracht?«
    Nebels Gesicht war grau wie nasser Sand, und seine gerunzelte Stirn sah aus wie das Watt darauf.
    Â»Kennst du etwa einen von dieser … der Familie Otto? Oder einen der vorher Verstorbenen? Wir müssen doch keine Verbrechen inszenieren, wo keine sind! Berlin hat genug davon, und ich im Übrigen tatsächlich nix mehr mit der Mordkommission zu tun. Weinbergsweg, weißt ja.« Nebel machte eine Kopfbewegung hin zum Fenster. »Die Clique von Dealern vor der Haustür war in den Wohnungsexposés nicht erwähnt, bevor die Käufer aus Stuttgart und Hamburg zuschlugen.«
    Â»Na, ich hoffe, ihr räumt da nicht nur für die
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