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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons
Autoren: Patricia Holland Moritz
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ihm die Hand zu reichen und hoffte, er würde sie einfach hereinbitten, ihr ein paar oberflächliche Fragen stellen und so etwas wie einen Versuch starten, ihr zu erklären, was nicht zu erklären war.
    â€ºKomm rein.‹
    Instinktiv hatte sie erwartet, gesiezt zu werden. Da es in Erich Schombergs Welt aber zwei Sorten von Menschen zu geben schien, die eine, die er schätzte, die andere, die sich seine Wertschätzung erst erarbeiten musste, wusste sie sofort, in welche Kategorie sie für ihn gehörte. Sie war auf seine Bitte hin hier und sie wollte diesen Pflichtbesuch schnell hinter sich bringen. Die Wohnung wirkte in ihrer kargen Möblierung unpersönlich und kalt, aber auch hier hatte alles seinen Platz. Der Fernseher war ein altes Modell, die Wände waren seit Jahren nicht mehr gestrichen worden, die Möbel in der Küche und das Bad sahen so hinfällig aus, dass Rebekka sich fragte, wie sich ein solcher Anblick jeden Morgen aufs Neue ertragen ließ. Da ihr Großvater offenbar weit schlimmere Anblicke ungerührt ertragen hatte, war dieser hier wohl eher einer der besseren. Und es hatte Rebekka nicht zu interessieren, wie er sein einsames Leben in dieser Einöde von Wohnung lebte.
    â€ºDeine Mutter hatte wohl keine Lust, mitzukommen?‹
    â€ºNein.‹
    â€ºDas wundert mich nicht. Sie hat noch nie den Kontakt zu mir gesucht. Umso mehr freut mich dein Besuch.‹
    Ein Lächeln umspielte seinen faltigen Mund. Es waren tatsächlich Lachfalten, die Rebekka dort und um seine Augen herum entdeckte. Doch ein Zeichen des Erkennens oder gar der Verwandtschaft war in seinen Gesichtszügen nicht vorgesehen.
    â€ºKommen wir gleich zur Sache, Rebekka.‹
    Es war beängstigend, ihren Namen aus seinem Mund zu hören. Wenn sie ihrer Mutter glaubte, dann war Menschen, die ihren Namen aus Erich Schombergs Mund vernommen hatten, nichts Gutes widerfahren.
    â€ºMein Letzter Wille ist hier in diesem notariell beglaubigten Schriftstück festgehalten. Eine Durchschrift liegt in dieser Kanzlei.‹
    Er schob ihr eine Visitenkarte über den Tisch.
    Er hatte ihr nichts zu trinken angeboten. Es war Stille im Raum. Nur das Ticken der Wanduhr hackte die schleichende Zeit in kleine Stücke.
    â€ºIch möchte, dass du mich hier rausholst, wenn ich sterbe. Dass ich auf dem Köpenicker Friedhof anonym bestattet werde und du von dem Geld, das dann bereits auf deinem Konto liegen wird, die Kosten dafür bestreitest. Was du mit dem Rest des Geldes machst, ist mir egal. Der Krempel hier kann direkt in die nächste Haushaltsauflösung. Und solltest du noch ein paar Fotos von deinem Vater haben wollen‹, mühsam stand er auf und ging zu einer Kommode, ›die sind hier drin.‹
    Er zog ein Schubfach auf und nahm neben zwei Fotoalben auch ein grün gebundenes Notizbuch heraus.
    â€ºUnd hier drin findest du, was du über mich wissen solltest.‹
    Rebekka fühlte sich, als habe er ihr soeben den Schlüssel zu einem Giftschrank gegeben. Sie dachte an die Worte ihrer Mutter. Dass er ein Unverbesserlicher gewesen sei, und zwar in beiden Systemen. Dass er den Ulbricht an der Wand hatte. Sie schaute sich um. Von dem Bild war nichts zu sehen, auch kein weißer Fleck, auch kein Honecker-Porträt. An Erich Schombergs Wänden hingen überhaupt keine Bilder. Die Wohnung hatte nichts Persönliches. Jeder hätte hier leben können, ohne etwas ergänzen oder wegnehmen zu müssen.
    Für ihn war das Gespräch beendet. Rebekka nahm die Alben und das Heft an sich, die Karte vom Notar und ging, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Am nächsten Tag klingelte das Telefon in der Marzahner Wohnung. Die Nachbarin von Erich Schomberg hatte am Morgen einen Zettel in ihrem Briefkasten gefunden, sie solle umgehend den Hausmeister holen und die Tür zu Schombergs Wohnung aufbrechen lassen. Gegen Mittag fanden sie Erich Schomberg. Er hatte sich im Schlafzimmer erhängt.
    Innerhalb nur einer Woche hatte Rebekka alle Formalitäten erledigt. Sie konnte es nicht erwarten, diesen Mann unter der Erde zu wissen, anonym und eines Tages von der Welt vergessen, auf der er eine blutige Spur hinterlassen hatte.
    Innerhalb einer weiteren Woche eröffnete ihr der Notar, sie sei Alleinerbin von Erich Schombergs Vermögen. Wie in Trance betrat Rebekka die Marzahner Wohnung und hielt ihrer Mutter das Schreiben mit der schier unglaublichen Ziffer unter die
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