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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons
Autoren: Patricia Holland Moritz
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PROLOG
    Die Mutter war aschfahl, als sie Rebekka den Brief mit dem Absender Erich Schomberg reichte. Rebekka wohnte damals längst nicht mehr bei ihr. Sie hielt sich nach der erneuten Absage für ein Journalistikstudium mit Nachtschichten auf dem Postamt und einem Leben in den Wohnheimen der Stadt über Wasser. Für sie bestimmte Briefe wurden immer noch an die Marzahner Wohnung geschickt.
    â€ºEr will mich sehen. Seinen Letzten Willen mit mir besprechen. Was hat das zu bedeuten, Mutter?‹
    â€ºDass er reinen Tisch machen will. Und im schlimmsten Fall eine Haushaltsauflösung an dir hängen bleibt.‹
    Damit brachte die Mutter unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie nichts mit diesem Mann zu tun haben wollte, der ihr Schwiegervater war.
    â€ºWas war das zwischen euch?‹
    â€ºEin luftleerer Raum. Mehr nicht. Ich habe ihn auf der Beerdigung deines Vaters zum letzten Mal gesehen. Dein Großvater ist nichts als eine dunkelrote Bazille. Erst braun, dann rot. Immer ganz den Umständen angepasst. Wie dein Chamäleon damals.‹
    â€ºWas hat er getan?‹
    Die Mutter schaute ihre Tochter an, und Rebekka wusste in diesem Moment, dass sie diesen Ausdruck in ihrem Gesicht nie wieder sehen würde. Sie trat ganz nah an ihre Mutter heran, nahm ihr Gesicht in ihre Hände. Wusste, dass es auch diesen Augenblick der Nähe nie wieder geben würde. Und sie wiederholte ihre Frage, weil sie wusste, dass es auch diesen Moment der Wahrheit nie wieder zwischen ihnen geben würde.
    â€ºWas hat er getan?‹
    Monika Schomberg setzte sich. Diese ganze Sache ging sie nichts an. Mit ihrem Mann war auch dessen Vater für sie gestorben. Und dass er sich nun aus dem Off gemeldet hatte bei ihr und ihrer Tochter, den letzten beiden, die ihm offensichtlich noch blieben, konnte nur eine der letzten perversen Ideen des Erich Schomberg sein.
    Mit einer Handbewegung bat sie Rebekka um ein Glas Wein. Die offene Flasche stand neben dem Herd. Widerwillig griff Rebekka zu einem Glas und füllte es randvoll, weniger hätte die Mutter nicht akzeptiert.
    â€ºSetz dich.‹
    Rebekka gehorchte.
    â€ºIch weiß nicht viel, aber genug. Dein Vater hatte mir davon erzählt. Ich sollte seinen Vater wohl gar nicht erst kennenlernen. Und so war es dann auch. Ich habe mich von diesem Mann ferngehalten. Ich weiß …‹, sie trank ihr Glas mit wenigen Schlucken leer und stellte es geräuschvoll auf den Tisch, ›… nicht viel, aber genug. Er war bei einem Massaker dabei gewesen in Frankreich. Das war das eine. Und dieses Massaker hat ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Das ist das andere. Und dass solche Typen unbehelligt in der Deutschen Demokratischen Republik unter Hammer, Sichel und Ährenkranz weiter Karriere machten, ist das ganz andere … Ist das, was mich in diesem Scheißstaat, der nun endlich den Bach runtergeht, am meisten kaputtmacht. Und du dachtest immer, es ist der Alk oder der Umstand, dass ich deinen Vater nicht mehr habe?‹
    Sie schaute Rebekka an, und Rebekka spürte, dass ihre Mutter tatsächlich eine Antwort von ihr wollte.
    Noch am selben Tag hatte Rebekka ihn aufgesucht. Von einem Besuch konnte keine Rede sein, denn sie ging zu ihm, um sich zu vergewissern, dass es gut gewesen war, ihn als Kind nie wahrgenommen zu haben und seiner großväterlichen Obhut entkommen zu sein, die er wahrscheinlich pflichtgemäß an den Tag gelegt hätte beim Anblick seines einzigen Enkels, beim Gedanken an seinen einzigen Sohn, der so früh verstorben war.
    Erich Schomberg wohnte in einem Neubaublock in Köpenick, unweit einer idyllisch anmutenden Bootsanlegestelle. Er öffnete ihr die Tür und betrachtete sie stumm. Stahlblau war der Begriff, der Rebekka als Erstes einfiel, als sie ihm in die Augen schaute. Keine freundliche Regung war seinem Blick zu entnehmen. Bei Rebekkas Großvater hatte alles seinen Platz. Die Brille saß wie festgesteckt auf seiner breiten Nase, das schlohweiße Haar lag geglättet an seinem Kopf und kräuselte sich nur im Nacken etwas. Eine schwarze Strickjacke, aus deren Brusttasche ein glattgebügeltes Taschentuch ragte, umspannte das blütenweiße Hemd. Seine Hände lagen an der Hosennaht der ebenfalls glattgebügelten Anzughose, und alles in allem ergab er das Bild einer Schaufensterpuppe, Mode für den Herrn ab 60, Ton in Ton von Weiß über Grau bis Schwarz.
    Rebekka vermied es,
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