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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Autoren: Carola Clasen
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konnte Anke sowieso nichts mehr verstehen.
    Anke sah am liebsten Liebesfilme. Wenn auf keinem der 26 Sender einer lief, ging sie an den Wohnzimmerschrank, zog die unterste, tiefe Schublade auf und seufzte inbrünstig hinein. Dort lagen ihre Schätze. Videofilme.
Der Englische Patient, Die Brücke am Fluss
und
Jenseits von Afrika
.
    Ralph Fiennes, Clint Eastwood und Robert Redford waren ihre ganz persönlichen Herzensbrecher. Niemand wusste, wie viele Stunden und Tränen ihres Lebens sie diesen drei Herren bereits geopfert hatte. Wenn sie alle vollgeheulten Taschentücher zu einem Berg stapeln würde, könnte sie darüber zwar feuchten, aber weichen Fußes mühelos auf den höchsten Berg der Eifel, die Hohe Acht, hinüberwechseln. Aber was sollte sie dort?
    Jenseits von Afrika
war Ankes erklärter Lieblings-Liebesfilm. Leider war keine Rede davon, aber sie hätte sofort alles in Oberpreth stehen und liegen gelassen und mit Meryl Streep getauscht, die mit Robert Redford spielen durfte. Und nicht nur das. Sie durfte für ihn Kartoffeln schälen, kochen, Geschirr abwaschen und Wäsche waschen … ach, und was Robert erst alles mit ihr machen durfte. Es war einfach zum heulen.
    Anke ahnte, dass sie nicht Roberts Typ war. Sie hatte auch keine Ähnlichkeit mit Meryl. Nicht im Entferntesten. Aber das störte sie nicht.
    Ihr Bruder Gerd hingegen sah am liebsten Sportsendungen. Dabei bekam er nie einen Anfall. Aber wenn
Jenseits von Afrika
lief – so kam es Anke vor –, hörte er besonders oft auf zu atmen und begann nach Luft zu schnappen. Und immer an den allerbesten Stellen. Deswegen hatte Anke sich angewöhnt, ihm vor dem Film prophylaktisch zehn durchsichtige Tropfen in sein Bier zu geben, das er sich zum Abendessen genehmigte.
    Auch an jenem Abend, als sich Ankes und Gerds Leben von Grund auf ändern sollte.
    Gerd war nach dem Bier wie immer bereits während der Tagesschau in seinem Sessel eingeschlafen. Auf leisen Sohlen versorgte Anke sich mit dem Nötigsten: einer Doppelpackung Tempos, einer Doppelpackung Chips und der Filmkassette. Sie schaltete um auf Videobetrieb – und los ging es.
    Allein die Musik trieb Anke schon die ersten Tränen in die Augen, da hatte noch keiner was gesagt. Es war wunderbar.
    Doch ausgerechnet als die Feuersbrunst begann sich über die Kaffeeplantage auszubreiten, verschwand die ganze Szenerie einfach mit einem Handstreich von der Bildfläche, als wäre sie eine Fata Morgana gewesen. Ohne eine Vorwarnung oder eine Erklärung. Alles schwarz. So schwarz.
    Anke wischte sich die Augen trocken und wollte es nicht wahr haben. Sie fingerte irritiert an den Fernbedienungen von TV und Videorecorder herum. Vor und zurück. Aus und Ein. Alles ohne Erfolg.
    Als der Videorekorder die Kassette ausspuckte, sah Anke, was geschehen war.
    Bandsalat.
    Mit einer Pinzette versuchte sie das verhedderte Band aus dem Rekorder zu pulen. Millimeter für Millimeter befreite sie es, vorsichtig, denn Robert wehzutun, wäre ihr furchtbar gewesen. Dass sie eine besonders arg mitgenommene Stelle küsste, das ging wirklich niemand etwas an. Es sah ja auch niemand. Oder?
    Ein Blick zu Gerd. Er schlief doch. Oder? Nein, er blies die Backen auf. Warum tat er ihr das an? Gerade jetzt! Sie zählte bis zehn.
    »Einen Augenblick noch, Robert, eh, Gerd. Gleich.«
    Bei 15 war das Band straff aufgewickelt.
    Bei 16 war es eingelegt.
    Bei 18 war es an die Unglücksstelle zurückgespult.
    »Halt durch, Robert, eh, Gerd«, rief sie aufgelöst.
    Gerd sendete Stille aus.
    Bei 20 überprüfte Anke den Schaden. Es waren nur ein paar Schrammen mehr zu sehen, als der Film sowieso schon hatte.
    Bei 28 brannte das Feuer wieder lichterloh, das Dach der Kaffeeplantage brach in sich zusammen und brennende Menschen irrten wie Fackeln umher …
    Ankes Versuche, Gerd zu neuem Leben zu erwecken, schlugen fehl. Umgehend teilte sie Frau Dr. Sommer per Telefon die schlechte Nachricht mit. Diese versprach, so schnell wie möglich zu kommen. Allerdings wohnte sie ja nicht in Oberpreth, sondern in Blankenheim. Und es gab keine Autobahn, sondern nur enge, gewundene Landstraßen.
    Erst nachdem Robert Redford mit dem Flugzeug abgestürzt, auf einem einsamen Hügel beerdigt und Meryl Streep nach Dänemark zurückgekehrt war, klingelte Dr. Sommer an der Haustür. Anke schaltete den Fernseher aus und öffnete.
    Frau Dr. Sommer war eine kräftige, resolute Person. Sie war ungehalten, als sie Gerd da bleich und wächsern in seinem Sessel hängen sah. Ohne ihn
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