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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Autoren: Carola Clasen
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ungewöhnliches Paar, das mag wohl stimmen. Unsere Charaktere, Lebensläufe und Ziele könnten nicht unterschiedlicher sein. Aber wir haben uns mit den Jahren – immerhin waren es über zwanzig an der Zahl – zusammengerauft. Ich habe mich mit ihrer Sprunghaftigkeit, ihrem überschäumenden Temperament und ihrem Übermut abgefunden, sie hat gelernt mit meiner Schwermut, Ernsthaftigkeit und Gradlinigkeit zu leben. Sich akzeptieren und respektieren, sich einfach nur verstehen, mehr wollte ich gar nicht.
    14.45 Uhr
    Inzwischen wird sie sich von dem Schock erholt haben, schätze ich, den meine Nachricht in ihr ausgelöst haben muss. Sie hat alles stehen und liegen gelassen und ist ins Auto gestiegen. Sie ist unterwegs zur mir. Ich spüre, wie sie sich mir nähert.
    Zeit, meine Entschlossenheit zu demonstrieren. Sie soll mich nicht ängstlich zögernd am Ufer stehen sehen, wenn sie kommt. Damit würde ich meinen Plan selbst zunichte machen.
    Mein linker Fuß taucht ein, mein rechter folgt. Nach zwei Schritten reicht das Wasser mir bis zu den umgekrempelten Hosenbeinen, frisst sich in den Stoff und lässt das Braun der Hose schwarz aussehen. Ich beiße die Zähne zusammen und halte der Kälte stand, die mir mit solcher Wucht in die Glieder fährt, dass mir schwindlig wird und ich am liebsten rückwärts gehen würde. Hinaus aus diesem Eisloch. Ich atme tief aus und hebe abwechselnd das linke Bein, dann das rechte, trete wie ein Storch auf der Stelle, um meine Beine kurz an der Luft aufwärmen zu lassen.
    Ich kremple die Ärmel meines hellblauen Hemdes hoch, bücke mich, paddle mit den Händen im Wasser umher, kann auf dem Grund meine Füße stehen sehen und erkenne zwischen den Wellen auf der Wasseroberfläche mein verzerrtes Spiegelbild.
    Dunkle Haare, die abstehen wie ein Dornenkranz, ein schmales Gesicht, mit Sorgenfalten übersät, eine Nase, lang und seltsam gebogen, ein geöffneter Mund wie ein Loch. In Wirklichkeit sehe ich besser aus.
    Auch deswegen hat sie sich damals in mich verliebt. Und sie liebt mich immer noch! Wetten? Natürlich tut sie das. Damit kann man doch nicht einfach aufhören, nur weil ein anderer auf der Bildfläche erscheint.
    Habe ich das etwa getan, als die Nachbarin neben uns einzog? Hübsch und jung und einsam? Die Gelegenheit wäre da gewesen. An jenem Abend, als ich allein zu Hause war, Sylvia bei einer Freundin, und die neue Nachbarin klingelte und mich bat, nach ihrem Wasserhahn in der Küche zu sehen, weil er ständig tropfte. Natürlich bin ich mit meiner Rohrzange hinübergegangen und habe ihn repariert. Ihre Dankbarkeit war unübersehbar, aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, es auszunutzen, als sie beim anschließenden Glas Wein auf dem Sofa näherrückte. Ich war treu.
    Ich richte mich auf, trockne die nassen Hände am Hemd ab und wage mich zwei Schritte weiter vor. Erst der linke Fuß, dann der rechte. Der Untergrund ist glitschig und morastig, und kleine, dunkle Wolken aus Lehm und Erde steigen auf. Das Wasser reicht nur bis zu den Knien, aber der nasse Stoff wächst schon bis zu meinem Oberschenkeln hinauf.
    14.55 Uhr
    Ich drehe mich um, muss die Arme ausbreiten, um nicht umzufallen. Am Ufer stehen nur meine beiden Stiefel. Ein armseliger, endgültiger Anblick.
    Sie muss jeden Moment kommen. Sicher hat sie gerade oben auf der Maarstraße geparkt und ist ausgestiegen. Hoffentlich hat sie abgeschlossen. Jetzt läuft sie den kleinen Weg
Im Bungert
hinunter. Jetzt oder gleich, jeden Moment, werde ich sie sehen.
    Und sie mich. Eindrucksvoller wäre es also, wenn das Wasser mir dann schon bis zum Hals stünde.
    Ich lasse die Arme sinken und die Finger wie ein Fächer durchs Wasser gleiten. Es fühlt sich harmlos weich an. Noch zwei Schritte, und mein linker Fuß rutscht in eine Senke. Noch mehr Kälte, noch mehr Nässe. Meine Füße spüre ich kaum noch, meine Waden fühlen sich steif an. Meine Beine sind schwer, als hingen Gewichte an ihnen, die mich herunterziehen.
    Noch zwei Schritte. Und zwei weitere. Und zwei ...
    15.00 Uhr
    Gleich wird sie da sein und ihr blaues Wunder erleben. Sylvia kommt oft zu spät. Oder auf den letzten Drücker. Wie oft habe ich auf sie gewartet? Wenn man die Minuten addieren würde, käme man auf viele Tage. Wie oft habe ich ihr verständnisvoll erklärt, wie man es schaffen kann, pünktlich zu sein? Ich habe ihr sogar einen Plan in die Küche gehängt. Ich habe ihr den Wecker gestellt. Ich habe alles versucht. Vergebens wie man jetzt sieht. Selbst
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