Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Autoren: Carola Clasen
Vom Netzwerk:
Bessere.
    Mit meinem Tod müssen
sie
leben, nicht ich.

P hinter Tür
    Huch!
    Was war das?
    Wozu sollte das denn gut sein?
    Unfassbar!
    Das hätte sie ihm nie zugetraut!
    Ausgerechnet Konrad, der immer so tut, als könnte er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Der brave Konrad mit der sanften Stimme, den kleinen, weichen Händen und den dünnen Oberarmen. Der rücksichtsvolle, harmoniesüchtige, kompromissbereite, schüchterne Konrad, der zu allem »Ja, ich weiß« sagt. So wie damals, als sie ihm sagte, dass er mal langsam um ihre Hand anhalten könne. So wie vorhin, als sie ihm zum hundertsten Male sagte, der Mülleimer sei wieder einmal voll.
    Genau dieser Konrad hat vorhin einfach seine kleinen, weichen Hände um ihren Hals gelegt und zugedrückt, wie ein echter Mann.
    Sie hat sich gewehrt nach allen Regeln der Kunst, sie hat getreten und geboxt, sie hat gespuckt und ihn mit großen, hervorquellenden Augen drohend angestarrt. Aber er hat nicht hingesehen und immer weiter gedrückt. Schreien konnte sie nicht, reden erst recht nicht, sonst hätte sie ihn natürlich aufgefordert, sofort mit dem Blödsinn aufzuhören. Und er hätte auf sie gehört, darauf können Sie wetten, sie ist ihm auch rhetorisch überlegen. So aber konnte er in aller Ruhe immer weiter zudrücken. Bis sie tot war. Und es blieb.
    Auf ihrem Küchenboden hat sie noch nie gelegen. Es ist alles andere als interessant, sondern einfach nur unbequem und kalt. Auf den Fliesen liegen – wie sie aus dem Augenwinkel erkennen muss – einige Brotkrümel verstreut. Typisch Konrad, er braucht sich nur ein Brot zu schmieren, und schon ist die Küche ein Schlachtfeld! Und den Mülleimer hat er natürlich immer noch nicht hinuntergebracht. Dass Müll einmal das Letzte sein würde, was sie sagen würde, hätte sie nicht für möglich gehalten. Sie hat kein besonderes Verhältnis zu ihm. Der Eimer steht neben ihr und stinkt. Und sie kann nichts dagegen tun. Sie kann überhaupt nichts tun. Diese Zeiten sind vorbei.
    Außerdem ist sie enttäuscht.
    Ermordet zu werden, hat sie sich viel aufregender vorgestellt. Dramatischer. Weltbewegender. Aber die Zeit ist nicht stehen geblieben. Die Küchenuhr tickt weiter munter vor sich hin, als sei nichts geschehen. Im Radio unterbrechen sie nicht die Sendungen und legen keine Schweigeminute ein. Es geht keine Sirene durchs Land. So weit sie durch die Gardinen sehen kann, hängen draußen nirgendwo Fahnen auf Halbmast. Im Treppenhaus gehen wie gewöhnlich Schritte auf und ab.
    Sie erkennt ihre Nachbarn an ihrem Gang. Frau Nießen schlurft, die junge Frau Eller stöckelt auf Pfennigabsätzen, Herrn Stiepelmanns Gummisohlen quietschen. Tim und Nick, die beiden Jungen aus dem vierten Stock, nehmen immer zwei Stufen auf einmal.
    Niemand kümmert sich um die arme, tote Edelgard Wollenweber, geborene Hufschmidt hinter der rechten Tür im zweiten Stock.
    Wie oft hat sie schon in der Zeitung gelesen, dass eine Person erst Wochen nach ihrem Tod in ihrer Wohnung gefunden wurde? Und nur deshalb, weil der Gestank, der durch die Türritzen drang, den Nachbarn endlich aufgefallen war.
    »P hinter Tür«, heißt das im Polizeijargon.
    Das muss kein Vergnügen für die betreffende Person sein. Das ewige Warten, riechen, wie man verfällt, erleben, dass man nicht vermisst wird.
    Ihr wird das nicht passieren. Konrad wird gleich zurückkommen. Das schlechte Gewissen wird ihn nach Hause treiben. Gleich wird sie seinen Schlüssel im Schloss hören. Hören, wie der Mantel zu Boden fällt, obwohl sie ihm schon hundert Mal gesagt hat, er soll ihn gefälligst sofort an die Garderobe hängen. Er wird seine schmutzigen Schuhe einfach anlassen, das lernt er nicht mehr. Welche Ausrede er wohl dieses Mal haben wird? Ihren Tod?
    Und dann wird er in der Tür stehen: Mit dickem, weißem, ängstlichem Gesicht, offenstehendem Kragen, aus dem ein paar krause Haare ragen, verknittertem Hemd, dessen Knöpfe sich über seinem Bauch spannen, ungebügelter Hose und dreckigen Schuhen. Sie könnte schwören, dass er so aussehen wird, denn sie lag schon auf dem Küchenboden, als er sich heute Morgen anzog, und konnte nicht mehr darauf achten, dass er das Haus einigermaßen ansehnlich verließ. So wird er in Zukunft immer aussehen. Seine Mutter ist schon lange tot. Und er kann sich keine Neue suchen, weil sie unersetzlich sind, Mutter und Ehefrau. Jedenfalls hat er das immer gesagt. Außerdem, wer will schon einen Mann wie Konrad?
    Gleich wird er sich über sie beugen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher