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Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt
Autoren: K. H. Scheer
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1.
     
    Narko Menere erwachte aus seinem Dämmerschlaf. Er hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet. Seine muskulösen Beine ragten unter dem kleinen Kartentisch hervor.
    Als er meine Schritte vernahm, wurde er munter.
    Ich erblickte ein aufgedunsenes Gesicht und entzündete Augen. Meneres Galauniform war längst nicht mehr blütenweiß. Die vier goldenen Kapitänsstreifen auf seinen Schulterstücken unterstrichen eher noch den heruntergekommenen Eindruck.
    Er öffnete den Mund und gähnte, aber seine Aufmerksamkeit galt mir. Hannibal stand im Bugteil der Tiefsee-Grundstation und beobachtete den dort angebrachten Bildschirm.
    Menere, der schwarzhäutige Hüne, bemühte sich nicht, eine respektvolle Haltung anzudeuten. Dinge dieser Art verlieren sich an Bord eines kleinen Tauchkörpers; besonders wenn man darin drei Tage lang eingesperrt ist.
    Ich blieb vor ihm stehen. Die geschauspielerte Arroganz meiner Haltung war mir in Fleisch und Blut übergegangen. Aufgestockte »Erhobene« hatten sich grundsätzlich und in jeder Situation als Übermenschen darzustellen.
    Der Kapitän der afrikanischen Luxusjacht JENNIFER-MARVALY war nun hellwach. Ich sah, daß er meine schwarze Kombination mit den Blicken überflog. Seine besondere Aufmerksamkeit galt der marsianischen Strahlwaffe im offenen Gürtelhalfter.
    Natürlich wußte er, daß man davon an Bord eines kleinen Fahrzeugs keinen Gebrauch machen konnte. Der Marsstrahler störte ihn dennoch.
    »Wenn Sie schon wieder ausgefallene Wünsche haben, so sage ich Ihnen gleich, daß ich sie nicht erfüllen kann«, meinte er, noch ehe ich das Wort an ihn richten konnte.
    Ich musterte ihn mit einem typischen »Apoll-Blick«.
    »Bleiben Sie nur sitzen, Kapitän«, forderte ich ihn auf. »Ich nehme an, Sie haben den Zeitmesser ebenfalls überprüft. Vor drei Tagen haben Sie es vorgezogen, die Jacht panikerfüllt zu verlassen, um anschließend mit diesem Tiefseeforschungsgerät auf den Grund des Indischen Ozeans abzusinken. Sie wissen, daß wir nahezu bewegungsunfähig sind. Die schwachen Batterien erlauben auf keinen Fall die künstliche Herstellung der von uns benötigten Atemluft.«
    »Hören Sie auf«, wies er mich gereizt ab. »Das wußten Sie vorher.«
    »Natürlich. Ich habe Sie aber auch daran erinnert, daß die vorhandenen Sauerstoffreserven zwar vier Tage lang reichen, dies aber nur dann, wenn sich bestenfalls fünf Besatzungsmitglieder an Bord befinden. Wir sind vier erwachsene Menschen. Und was liegt da vorn? Schauen Sie nach vorn, Menere.«
    Er dachte nicht daran, meiner Aufforderung nachzukommen. Seine Aufmerksamkeit galt plötzlich den Instrumenten der Grundstation.
    »Dann also nicht«, fuhr ich ironisch fort. »Im Bugraum liegen achtundzwanzig Kleinkinder im Alter von wenigen Tagen bis zu sechs Monaten. Ich maße mir nicht an, die Handlungsweise Ihrer Auftraggeber zu kritisieren. Wenn man es für richtig hält, Kleinkinder aus dem arabisch-großasiatischen Raum zu entführen, oder sie infolge der Unvernunft der dort heimischen, kinderreichen Familien unter fadenscheinigen Vorwänden in Pflege zu nehmen, dann ist das eine Angelegenheit jener Auftraggeber.«
    »Dementsprechend sollten Sie sich verhalten«, murrte er. »Sind Sie ein biologisch aufgestockter Erhobener aus Professor Toterlays Schule oder nicht? Seit wann interessieren sich Nur-Logiker für Nebensächlichkeiten?«
    »Das frage ich mich ebenfalls«, ertönte aus dem großen Bugraum eine Frauenstimme. Sie gehörte der Fachärztin für Kinderheilkunde, Dr. Miria Flabtone, einer Angehörigen des südafrikanischen Zulu-Volkes.
    Ich beherrschte mich mühevoll, zumal Hannibal in dem Augenblick auf telepathischer Basis durchgab:
    »Diese Verbrecherin werde ich höchstpersönlich vor ein internationales Gericht bringen. Ebenso höchstpersönlich werde ich kraft meines Amtes als aktiver GWA-Schatten Zeugnis ablegen und die Todesstrafe fordern. Mein Wort darauf, Großer.«
    Es gelang mir, den in meinem Extrahirn wie ein Peitschenschlag fühlbaren Impuls zu ignorieren. Hannibal hatte sich bei der Verladung der Kleinkinder schon reichlich unvorsichtig benommen. Das konnte unter Umständen unseren Auftrag gefährden.
    Ich mußte den Inhalt der Durchsage vergessen. Hannibals Emotionen hatten schleunigst abgebaut zu werden, auch wenn vor uns achtundzwanzig schreiende Menschlein lagen. Sie konnten sich selbst nicht helfen, und wir durften nicht helfen – wenigstens jetzt noch nicht. Dennoch war ich nicht bereit,
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