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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Autoren: Carola Clasen
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hatte
weissalles
über sich im Netz erzählt? Fieberhaft durchsucht Christine ihr Gedächtnis. Er war Student, nicht wahr? Informatik im sechsten oder siebten Semester.
    »Heute keine Vorlesungen?«, fragt sie ihn.
    »Doch, natürlich«, sagt er, fährt sich durch die Haare. »Woher weißt du?«
    »So was sehe ich sofort.«
    »Vorurteil«, brummt er und sieht an sich hinunter.
    Wenn Christine sich recht erinnert, steht in seinem Profil, dass er Ende zwanzig ist, aus Trier stammt, jetzt in Aachen in einer WG wohnt, nur Männer, alles Informatiker. Lauter Alleswisser.
    Christine sieht aus dem Fenster und sucht nach einem Thema. Der Verkehr wird dichter. »Es wird langsam voll da draußen.«
    »Das ist doch normal.« Er zuckt mit den Schultern.
    »Was wirst du später werden, ich meine, nach dem Studium?«, fragt sie weiter.
    »Ich mach ‘ne eigene Firma auf, alles rund um den Mac, natürlich, was sonst?«
    »Ich habe jetzt auch einen Mac«, sagt sie stolz.
    »Hab ich schon befürchtet«, meint er. »Und? Kommst du klar?«
    Sie schüttelt den Kopf und verzieht das Gesicht.
    »Hab ich mir gedacht.«
    Aus dem Außenbereich dringt Zigarettenqualm in ihre Nase. Es macht sie nervös. Sie versucht sich beruhigen, lehnt sich zurück und kreuzt die Arme und kommt zum Thema: »Ich habe mir gestern einen UMTS-Stick gekauft«.
    Durch
weissalles
geht ein Ruck, als habe jemand einen Knopf gedrückt. Er richtet sich auf, schüttelt seine Haare, schlenkert mit Händen und Füßen, er explodiert geradezu. »USB? Läuft der denn auf deinem Mac?«
    Sie zieht die Augenbrauen zusammen.
    »Dann hast du Airport nicht deaktiviert!«
    »Airport?«, fragt sie ratlos.
    Weissalles
lächelt. Es steht ihm gut, macht sein kantiges Gesicht weich, auch wenn es abfällig ist, das Lächeln. »Noch nie von gehört, was?«
    »Sollte ich?«
    Als er loslegt, hört sie nicht, was er sagt, nur wie er es sagt, diesen einen ganz bestimmten Ton in seiner Stimme, auf den sie total abfährt.
    »…und dann Neustart, kapiert?«, hört sie ihn zuletzt fragen.
    »Ich denke schon.«
    Weissalles
seufzt und fällt wieder in sich zusammen. »Ich glaube kaum.«
    »Ich muss gehen«, sagt sie und steht auf. Langsam wendet sie sich von ihm ab.
    »Falls du nicht klarkommst, du findest mich in der Community
Onlymac
«, hört sie
weissalles
hinter sich sagen. Als sie sich umdreht, reckt er sich und gähnt. »Immer. Aber mit Ferndiagnosen können die wenigsten umgehen.«
    »Du hast recht«, sagt sie und sieht auf ihn hinab. »Am liebsten wäre es mir manchmal, jemand säße neben mir und würde mir die Hand führen ...« Sie lässt den Rest des Satzes in der Luft hängen.
    Er sieht auf seine Uhr. »Ich hätte Zeit.«
    »Echt?«
    Er nickt kurz, ohne ihr in die Augen zu sehen.
    »Und du würdest wirklich mit zu mir kommen?«
    »Warum nicht?«
    »Was kostet das denn bei dir?«, fragt sie skeptisch.
    Er winkt ab. »Wo in Köln wohnst du?«
    Woher weiß er, dass ich in Köln wohne?, fragt sie sich und braucht eine Schrecksekunde, um sich daran zu erinnern, dass er ihr Autokennzeichen gesehen hat. »Nächste Ausfahrt und dann höchstens noch fünf oder sechs Kilometer schätze ich.«
    »Okay.«
    Er trinkt ihre Cola in einem Zug leer, lässt die Becher stehen und folgt ihr. Sie winken sich zu, als sie in ihre Autos steigen. Sie fährt vor, denn sie kennt den Weg. Die beiden Autos kehren zurück auf die Autobahn. Sie beobachtet ihn im Rückspiegel. Er bleibt dicht dran an ihr. Er ist ihr ins Netz gegangen. Versonnen stellt sie sich vor, wie er ihre Wohnung betreten und sich umsehen wird, sich vor ihren Mac setzt, ihn einschaltet und beobachtet, wie der angebissene Apfel auf dem Monitor erscheint, während sie ihm in der Küche seinen letzten Drink mixt.
    Da sieht sie
weissalles
durch die Seitenscheibe, grinsend fährt er an ihr vorbei und eröffnet den neuen Tanz auf der Autobahn. Mal lässt sie sich fangen, mal gibt er nach.
    In Gedanken sieht sie ihn das Glas zum Mund führen, seine Lippen öffnen sich ...
    Er ist hinter ihr, als sie den Tanklaster überholt und unvermittelt abbremst. Sie kommt von der Fahrbahn ab, schlingert über die beiden Spuren Richtung Standstreifen und sieht den Brückenpfeiler auf sich zukommen ... und
weissalles
den ersten Schluck nehmen.
    Dann explodiert die Welt.
    Weissalles
tritt das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Als er in den Rückspiegel blickt, zischt eine Flamme über der Unfallstelle hoch. Wenn sie wenigstens einmal Danke gesagt hätte. Aber das
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