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Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten

Titel: Die Eifel sehen und sterben - 23 kriminell kurze Geschichten
Autoren: Carola Clasen
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überhaupt einer Untersuchung zu unterziehen, polterte sie sofort los. »Frau Schmidtheim, haben Sie denn nicht bemerkt, wie es ihm schlechter ging?«
    Anke zuckte mit den Schultern.
    »Was mussten Sie denn so Wichtiges tun, dass Sie nicht besser auf Ihren Bruder aufpassen konnten?«
    »Ich habe ferngesehen«, gab Anke kleinlaut zu.
    »Es gab doch heute Abend gar nichts Vernünftiges. Was haben Sie denn gesehen?«
    »Video«, hauchte Anke und fügte nach einer Weile hinzu: »
Jenseits von Afrika

    Frau Dr. Sommer sackte auf die Couch, als hätte sie der Schlag getroffen, die Polster knickten unter ihr ein. »Ehrlich?«
    »Der Film ist noch drin.«
    Sehnsüchtig starrte Frau Dr. Sommer auf den schwarzen Bildschirm und seufzte.
    »Wollen Sie ihn sehen?«
    Sie nickte heftig. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ihn noch einmal zu sehen?«
    Welche Frage!
    Als die Musik begann, blickte Frau Dr. Sommer bedauernd auf Gerd und meinte: »Irgendwie ist der Arme ja jetzt auch jenseits.«
    »Jenseits von Afrika«, mahnte da eine Stimme unheilschwanger aus dem Fernseher.
    »Jenseits von Blankenheim«, murmelte Anke enttäuscht.
    »Aber nein!«, rief Dr. Sommer. »Ist nicht jeder Ort irgendwie jenseits von Afrika?«
    So hatte Anke das noch nie gesehen. Gerd hatte es gut, er war am Ziel ihrer Träume.
    Als Meryl Streep zum hundertsten Male erfuhr, dass ihr Gatte sie mit Syphilis angesteckt hatte, blies Gerd die Backen auf und begann geräuschvoll und schnappend zu atmen.
    »Jetzt nicht, Herr Schmidtheim«, sagte Frau Dr. Sommer ungehalten, griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter.
    Und über Ankes Gesicht huschte ein seliges Lächeln.

Haus am See
    Sie hat geschrieben, sie kommt.
    Es ist ein grauer Tag. Es regnet. Ein schwacher Wind weht die Wassertropfen wie einen Vorhang auf meinen Balkon. Erst tauchen ein paar dunkle Punkte auf dem Boden auf, inzwischen verläuft ein nasser Streifen entlang der Brüstung, der die Fliesen glänzen lässt. Ich bin einen Schritt zurückgetreten, um keine nassen Füße zu bekommen. Der Balkon ist schmal, sodass meine Fußspitzen auf dem nassen Streifen bleiben müssen. Ich spüre die Nässe durch die Pantoffel. Denn ich stehe schon eine Weile hier. Nasse Füße sind aber ein kleines Problem verglichen mit dem anderen, das sich vor mir auftürmt.
    Ich werde gleich auf die schmale Brüstung klettern und hinunterspringen. Ich wohne im vierten Stock, über den Kronen der Bäume. Unten verläuft eine Straße. Das Ergebnis kann man sich leicht vorstellen. Es ist erwünscht.
    Ich zögere noch, weil die Brüstung sehr schmal ist. Und jetzt auch noch nass. Auch wenn ich mich an Wäscheleine und Hauswand klammern werde, sobald ich oben angekommen bin, werde ich fallen. Selbst wenn ich ein Meister der Balance wäre.
    Keine Gelegenheit werde ich da oben haben, für den Schritt in den Abgrund bewusst auszuholen. Aus dem gleichen Grund konnte ich ihn auch vorher nicht ausprobieren. Einmal da oben werde ihn nicht mehr verschieben oder gar verwerfen können. Letzteres habe ich nicht vor, weil es keine Alternative gibt.
    Denn
Cherry
hat geschrieben, sie kommt heute.
    Wieder ein Blick auf die Uhr – obwohl ich nicht weiß, wann sie kommt. Soll ich auf sie warten? Ich würde sie gern einmal sehen. Nur einmal. Nur ganz kurz. Ich kenne sie nur von einem Foto.
    Sie hat es mir im Anhang einer Mail geschickt. Ich habe es ausgedruckt, in einem Copyshop vergrößern lassen und über das Fußende meines Bettes gehängt.
    Sie ist eine makellose Schönheit. Sogar der Mann aus dem Copyshop hat es bemerkt. Nicht, dass ich unbedingt eine schöne Frau gesucht hätte, eigentlich kommt es mir mehr auf den Charakter an. Aber da das Schicksal in der virtuellen Gestalt von www.verliebdich.de uns nun einmal zusammengebracht hat, habe ich das Beste daraus gemacht und ihr auch ein Foto geschickt.
    Keines von mir. Es steckte schon in dem Rahmen, den ich beim Fotohändler gekauft habe. Ein Portrait. Ein junger, übermütig lachender Mann mit einem schmalen Gesicht, dichtem, mittelblondem Haar, strahlend weißen, geraden Zähnen, und blauen, fröhlichen Augen. Er war braungebrannt, trug ein weißes Hemd und einen dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt. Er hat mir gleich gefallen, als ich ihn im Schaufenster sah. Ich fand, er passte zu ihr.
    Ich habe das Foto herausgenommen und für sie eingescannt. Für mich habe ich es im Copyshop vergrößern lassen und neben ihr Foto gehängt. Ich habe für uns ovale, goldene Bilderrahmen
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