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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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aussah, als verfolge er die Maschine.
    Das Flugzeug wurde rasch kleiner. Der Scharfschütze hielt den Atem an. Einen Moment lang hoffte er, der Pilot werde es bei dem einen Angriff bewenden lassen. Es war eine kleine Maschine, ein russisches Aufklärermodell, veraltet und mit geringem Zerstö rungspotential. Kaum anzunehmen, daß sie an der Vernichtung des Konvois beteiligt gewesen war.
    Irgendeine verdammte Flugbasis mußte den Alliierten durchgegangen sein.
    »Dreh um!« schrie er den Fahrer an.
    Dann sah er, wie sich der Jäger auf die Seite legte, eine Hundertachtziggradkurve beschrieb, für Sekunden in der Sonne aufblitzte ...
    Und zurückkam.

    Er jagte sie.
    »Nein, bleib so!«
    »Ich kann doch nicht auf das Scheißding zufahren!« brüllte der Fahrer.
    »Doch! Das ist unsere einzige Chance!«
    Der Jäger flog noch niedriger als zuvor. Seine Bordgewehre feuerten aus allen Rohren.
    Der Scharfschütze preßte sich gegen die Lehne der Rückbank, um Halt zu finden, legte die Waffe an und zielte so sorgfältig, wie es ihm bei dem Gerumpele möglich war.
    »Schieß doch!« schrie der Techniker.
    Er beachtete ihn nicht. Die Maschine flog auf Kollisionskurs, kam rasend schnell näher.
    »Schieß!«
    Nein, er hatte sie noch nicht richtig im Visier. Da war das Cockpit, der Kopf des Piloten nur zu erahnen hinter den reflektierenden Scheiben.
    Zwei Sekunden noch, eine.
    »Mach doch!!!«
    Jetzt.
    Er riß den Abzug durch.
    Siebenhundert Schuß in der Minute durchschlugen die Panzerung des Jägers. Das Knattern der Salve mischte sich mit dem Brüllen der Triebwerke und den Schüssen aus dem Flieger. Der Scharfschütze feuerte weiter, hielt auf die Scheiben, sah etwas splittern. Dann raste plötzlich der Himmel um ihn herum, und er wurde aus dem Jeep geschleudert. Das Gewehr landete in hohem Bogen im Sand. Er fiel auf den Rücken, daß es ihm die Luft aus den Lungen preßte. Über ihn hinweg schoß der Jäger, so tief, daß er meinte, den Bauch der Maschine mit bloßen Händen berühren zu können. Das Brüllen wurde zu einem Kreischen.
    Er rollte herum und sah, wie die Maschine kippte und tiefer ging.
    Eine Tragfläche streifte den Boden.

    Dann explodierte sie.
    Seine Hände krallten sich in den Sand. Beinahe bewundernd starrte er auf den Feuerball, fassungslos und glücklich, daß sie es geschafft hatten.
    Daß er es nicht geschafft hatte, wurde ihm erst bewußt, als er den Schmerz in seinen Eingeweiden spürte.
    Voller Panik versuchte er sich aufzurichten.
    Seine Ellbogen knickten ein, und er fiel mit dem Gesicht in den Sand.
    Vor seinen Augen wurde es rot.
    »... ihn mitnehmen.«
    Er öffnete die Augen.
    Der Techniker sah zurück. Er kniete neben ihm im Sand und hatte eine Hand auf seinen Rücken gelegt.
    »Es ... tut so ... weh ...« flüsterte der Scharfschütze.
    »Beweg dich nicht.« zischte der Techniker. »Und sprich nicht. Wir holen dich hier raus.«
    »Was ist mit ihm?« rief die Stimme des Fahrers. Hastige Schritte knirschten über den Sand und näherten sich.
    Der Techniker runzelte die Stirn, während er den Scharfschützen unverwandt ansah.
    »Ist er okay?«
    Der Scharfschütze versuchte zu sprechen, aber seine Zunge versagte den Dienst. Rote Funken tanzten vor seinen Augen. Er schloß die Lider.
    »Nein«, sagte der Techniker. »Er ist tot.«
    »Tot?«
    Tot?
    »Oh, mein Gott! Ach du Scheiße!!!«
    »Ja. Er hatʹs nicht geschafft.«
    »Mist! Oh Mist! Bist du sicher? Komm, wir heben ihn ...«
    »Ich habe gesagt, er ist tot«, wiederholte der Techniker mit scharfer Stimme.
    Ich bin nicht tot, dachte der Scharfschütze. Ihr müßt mich sofort zum Lager bringen. Helft mir, bitte! Helft mir!
    »Du meinst...«, sagte der Fahrer.
    »Ja. Es könnten noch weitere Jäger in der Nähe sein. Wir müssen zusehen, daß wir hier wegkommen. Später können wir ihn holen.«
    »Aber ...«
    »Er ist tot! Begreifst du das nicht?«
    »Wo ist sein Gewehr?«
    »Da, da liegt es. Starte den Wagen, ich hole es.«
    Nein! Nein!!
    »Verdammte Schweine! Mist! So eine gottverdammte Schweinerei!«
    Schritte, Türenknallen.
    Der Motor des Jeep sprang an.
    Sie fuhren weg.
    Sie fuhren tatsächlich weg und ließen ihn hier liegen.
    Ich bin nicht tot!!!
    Der Jeep entfernte sich.
    Nein! Kommt zurück!!!
    Nein!
    NEIN!!!

Köln, 1999

Samstag, 21. August

17.00 Uhr. Lindenstraße
    Die alte Frau lauschte in die Stille des Hausflurs hinein.
    »Herr Üsker?«
    Sie hörte schlecht, aber für ihre Begriffe war in der Wohnung im zweiten Stock etwas
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