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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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Schweres umgefallen, als sie eben daran vorbeiging. Ohnehin verwunderte es sie, daß sie den Mieter seit Tagen nicht zu Gesicht bekommen hatte. Mehmet Üsker besaß einen kleinen Lebensmittelladen an der Ecke, dort, wo die Händelstraße auf die Lindenstraße stieß, nur wenige Häuser weiter. Im allgemeinen verging kein Tag, an dem er ihr nicht etwas mitbrachte, einen Apfel oder frisches Gemüse. Sie verstanden sich gut. Die alte Frau nahm nicht übermäßig viel Miete, und er dankte es ihr in Form von Naturalien.
    Aber Mehmet Üsker schien wie vom Erdboden verschluckt. Der Laden hatte nicht mehr geöffnet, seit sie ihm das letzte Mal im Treppenhaus begegnet war, und das lag mit Sicherheit eine Woche zurück.
    Sie zögerte, dann ging sie mit schlurfenden Schritten bis zur Wohnungstür und klopfte zaghaft.
    »Herr Üsker, ist alles in Ordnung? Sind Sie da?«
    Wieder ein Poltern. Etwas war umgestürzt. Sie fuhr zurück und fühlte ihr Herz heftig pochen.
    Vielleicht wäre es sinnvoll, nachzusehen.
    Sie besaß einen Schlüssel. Nicht, daß sie im entferntesten die Absicht hatte, in Üskers vier Wänden herumzuschnüffeln. Trotzdem.
    Seit sie im vorigen Jahr in ihrer eigenen Wohnung gefallen war und Stunden gelegen hatte, bis endlich die Putzfrau kam, lebte sie in ständiger Angst. Mehmet Üsker war ein großer, kräftig gebauter Mann, aber was hieß das schon.
    Während sie langsam die Treppe zu ihrer Etage hinaufstieg, das linke Bein nachziehend, überlegte sie, was zu tun sei. Am oberen Absatz blieb sie stehen und horchte noch einmal angestrengt, ohne daß von unten ein weiteres Geräusch an ihr Ohr drang.
    War Üsker verreist?
    Er hätte etwas gesagt. Bestimmt hätte er sie besucht oder wenigstens eine Nachricht hinterlassen. Auch am Laden war kein Zettel gewesen. Nichts.
    Nacheinander öffnete sie die drei Sicherheitsschlösser zu ihrer Wohnung, trat ein, verriegelte alles wieder sorgfältig und holte das schwere Telefonbuch vom obersten Regalboden neben der Garderobe. Ihre Finger zitterten, als sie die Nummer der Polizei nachschlug.
    Etwa zwanzig Minuten später standen zwei Beamte vor ihrer Tür.
    Durch den Spion konnte sie eine Polizistin mit blonder Dauerwelle erkennen, die seltsam unförmig in ihrer braunen Hose und der grü nen Jacke wirkte. Ihr Kollege schob seine Mütze ein Stück zurück und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. Es war August und heiß in Köln.
    Augenblicklich beschloß sie, den Beamten ein erfrischendes Glas Wasser anzubieten und wollte gehen, um es zu holen. Dann fiel ihr ein, daß die Polizisten kein Wasser trinken konnten, solange sie draußen vor der Tür standen.
    Die Schlösser wurden wieder entriegelt.
    »Frau Bremer?« fragte die Polizistin mit einem Anflug von Desinteresse.
    »Ja«, strahlte sie. »Möchten Sie ein Glas Wasser?«
    Die beiden starrten sie verwirrt an. Dann lächelte der Mann und schüttelte den Kopf.
    »Danke, sehr freundlich. Sie hatten angerufen wegen ...«
    »Ich habe den Herrn Üsker seit Tagen nicht gesehen«, sagte sie mit Nachdruck.
    »Herr Üsker?«
    »Mein Mieter. Er wohnt in der Wohnung drunter. Da kann doch irgendwas nicht stimmen, oder?«
    Ihr entging nicht das Zucken der Belustigung um die Mundwinkel der Polizistin. Das ärgerte sie. Sie mochte alt sein, blöde war sie nicht. Die Beamten hielten sie offenbar für eines dieser verschrumpelten Klatschweiber, die ihre Nase in alles und jedes stecken und sofort Unsitte und Verrat witterten, wenn mal was über ihren Horizont hinausging.
    »Vielleicht ist er ja verreist«, meinte der Polizist.
    »Junger Mann«, sagte Frau Bremer sehr bestimmt, » wie stellen Sie sich das vor? Eben gehe ich an seiner Wohnung vorbei, da höre ich diesen bösen Krach. Wenn der Herr Üsker verreist ist, wer macht dann den Krach?«
    »Augenblick. Was denn für Krach?«
    »Sind Sie sicher, daß er nicht verreist ist?« fragte die Polizistin.
    Frau Bremer starrte sie an. Konnten junge Leute eigentlich nie richtig zuhören, wenn man etwas sagte?
    »Das hätte er mir doch erzählt«, gab sie vorwurfsvoll zurück.
    »Herr Üsker erzählt mir alles.«
    »Und was schlagen Sie vor?«
    Sie kramte den Generalschlüssel aus der Tasche ihres Kittels und hielt ihn den Beamten hin. Der Polizist nahm ihn und nickte.
    »Na schön. Sie müssen es wissen. Welcher ist es?«
    »Der mit dem eckigen Kopf. Der andere ist für den Keller.«
    »Gut. Schauen wir mal nach.«
    Unverhohlen gelangweilt schritten die Polizisten die Treppe hinunter. Frau
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