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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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das Gespräch und kam herübergelaufen. Er war ein schmächtiger Mann mit schütterem Haar und randloser Brille, der unter einer chronisch verstopften Nase litt.
    »Was soll die Veranstaltung?« fragte Menemenci. »Habt ihr Jack the Ripper aufgetrieben?«
    Krantz schüttelte den Kopf.
    »Nicht direkt.«
    »Was heißt das?«
    »Tja.« Krantz ging eilig voran in den Hausflur und begann, die Treppen hochzusteigen. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, was den Kommissar mit mehr Schaudern erfüllte als die zu erwartende Leiche. Menemenci hatte die Statur des späten Orson Welles und wahrscheinlich auch dessen Kondition. »Sieht eher so aus, als hätten wirʹs mit einem Fan von Jack the Ripper zu tun.«
    »Noch mal: Wozu der Aufmarsch?«
    »Erst warenʹs nur zwei Beamte. Sie fanden, daß es im Treppenhaus ein bißchen muffelt und vermuteten, es käme aus dem zweiten Stock. Also versuchten sie in die Wohnung reinzukommen, aber dann krachte und schepperte es drinnen und jaulte und schrie und sie dachten, sie würden angegriffen, und bekamen Schiß.«
    »Und?«
    »Wir haben ein Dutzend Schwerbewaffnete nach oben geschickt.
    Sie schossen das Schloß auf. Dann kam ihnen etwas entgegengeflogen, und sie schossen noch mal.«
    »Könnten Sie zur Sache kommen?«
    Krantz drehte sich zu Menemenci um.
    »Die Katz ist tot.«
    »Wie bitte?«

    »Es war die Katze. Sie war halb verhungert und vollkommen panisch. Hat in der Wohnung rumgewütet und Krach gemacht, was dann die Alte auf den Plan rief.«
    »Augenblick mal! Wir haben einen Großeinsatz gefahren, um eine Katze zu erschießen?«
    Sie waren vor der Wohnung angelangt. Krantz wies durch die offene Tür ins Innere.
    »Nein«, sagte er ruhig. »Um das hier zu finden.«
    Menemenci drückte sich an ihm vorbei in eine schmale Diele. Auf dem Teppichboden und an den Wänden war Blut.
    »Das ist noch von der Katze«, sagte Krantz. »Richtig lustig wirdʹs weiter hinten.«
    Am Ende des Flurs hing ein Perlenvorhang. Menemenci schob die leise klackenden Schnüre auseinander und betrat ein spartanisch eingerichtetes Wohnzimmer mit Ledercouch, kleinem Eßtisch, Fernseher und Videorecorder. Über der Couch waren diverse vergrößerte Fotografien in Rahmen aufgehängt. Manche zeigten Reisemotive, auf anderen waren Personen allen Alters zu sehen, dem Äußeren nach durchweg Türken.
    In der Mitte des Raumes stand ein einzelner Stuhl, der normalerweise wohl zum Eßtisch gehörte. Jemand hatte ihn so plaziert, daß man von allen Seiten bequem herankam.
    Ein Mann war darauf festgebunden.
    Als Menemenci näherkam, stoben dicke, schillernde Fliegen von dem Körper auf.
    Krantz reichte ihm ein Tuch.
    »Halten Sie sich das hier vor die Nase. Man verkraftet es dann besser.«
    Menemenci trat dicht vor den Leichnam, der deutliche Anzeichen von Fäulnis aufwies. Aber nicht das alleine war es, was den Gestank produzierte und die Insekten anlockte.
    Es waren die zahllosen Verletzungen.
    Fassungslos schüttelte er den Kopf und ging um den Stuhl herum.

    »Er dürfte eine Woche tot sein, vielleicht auch länger«, meinte Krantz mit ausdruckslosem Gesicht. »Genauer kann man das erst sagen, wenn wir ihn in der Pathologischen haben. Bei der Hitze schreitet die Verwesung rasch fort.«
    »Unglaublich.«
    »Naja. Alles im Bereich des Spekulativen, was wir bis jetzt herausgefunden haben. Eines ist allerdings sicher. Der Tod dieses Mannes hat sich hingezogen.«
    »Er ist gefoltert worden.«
    »Ja, bis der Körper nicht mehr mitgemacht hat.«
    Krantz zog ein paar transparente Handschuhe über seine feingliedrigen Finger und begann, den Toten nacheinander an verschiedenen Stellen zu berühren.
    »Der Arzt glaubt, sein Mörder wollte ihn die ganze Zeit über bei Bewußtsein halten. Zum Beispiel hier, was er an den Genitalien gemacht hat... das ist ziemlich gekonnt. Das Opfer durchleidet Höllenqualen, aber die Folter ist so angelegt, daß der arme Kerl nicht wegdämmert. Wir haben Hinweise darauf gefunden, daß sein Peiniger ihm mehrfach Aufputscher verabreicht hat, um ihn wieder hochzupäppeln. Es lagen Spritzen rum.«
    Krantz wies auf die Augen.
    »Das ist typisch für diese Art der Folter. Sie werden keine Verletzung entdecken, die lebensbedrohlich ist. Das Entfernen der Augenlider beispielsweise kann mit einem Skalpell so praktiziert werden, daß der Augapfel keinen Schaden davonträgt. Oder das, was er mit den Händen gemacht hat. Nur darauf angelegt, das Opfer zu quä len.« Er zögerte.
    »Alle Finger haben wir
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