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Die dunkle Quelle

Die dunkle Quelle

Titel: Die dunkle Quelle
Autoren: Tobias O. Meißner
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endet diese Welt. Ein klaffender Abgrund, in den der Schnee
in weiten Spiralen hinunterfegt, ohne jemals Halt zu finden.
    Erneut wendet das
Mammut sich um. Heiß dampft sein Atem aus dem Rüssel und dem Maul.
    Dort kommen die
Menschen, Eiszapfen in Haaren und Bart. Der mit dem Rohr setzt es an den Mund
und deutet mit dem anderen Ende auf das Mammut.
    Das letzte Mammut senkt
den Kopf.
    Der Sturm geht in ein
Bersten über.
    Rodraegs Kopf ruckte
hoch. Es dauerte einen Moment, bis er sich orientiert hatte.
    Eingeschlafen. Über der
Schreibarbeit. Im Rathaus.
    Er blickte zum kleinen
Fenster hinüber. Draußen war es dunkel, mitten in der Nacht. Mit Sicherheit war
er jetzt ganz allein im Gebäude. Auch der eifrige Kepuk war schon längst nach
Hause gegangen.
    Rodraeg streckte sich,
rieb sich das Gesicht und warf einen Blick auf das Blatt, das vor ihm auf dem
Schreibtisch lag. Der Beginn eines von ihm verfaßten Vorschlages, wie der Bauer
Tlech seinen Kuhmist weiterhin verwerten konnte, ohne daß sich sein Grundstücksnachbar,
der Seidenmaler Lendely, welcher seinen Morgentee in seinem Garten einzunehmen
pflegte, über die Geruchsbelästigung bei Westwind beschweren würde. Niemand
sonst im Rathaus wollte sich mit so etwas befassen. »Legt es auf Rodraegs
Tisch« war hier ein gefügeltes Wort geworden. Und so landeten sie alle in
diesem Zimmer: die kleinen Sorgen und Nöte, die den Leuten in Kuellen ihr
ansonsten beschauliches Leben erschwerten.
    Rodraeg beschloß, sich
selbst einen Tee zu kochen, wenn er sich schon mit den Teegewohnheiten des
Seidenmalers herumschlagen mußte. Er stand auf, verließ seinen kleinen,
würfelförmigen, mit Dokumenten aller Art vollgestopften Schreibraum und ging im
weichen Licht der sorgfältig verteilten Wandöllampen hinüber in die Schreiberküche.
Während er auf der Ofenstelle Trinkwasser in einem Topf erhitzte, suchte er
unter verschiedenen Teeblattsammlungen eine möglichst anregende heraus und
schnupperte an dem Päckchen. Grüne Entgegnung aus
Diamandan. Eine Erinnerung an die Sonnenfelder seiner Kindheit durchströmte
ihn, und – genau entgegengesetzt und wahrscheinlich genau deshalb – eine
Erinnerung an seinen Traum.
    Was für ein seltsamer
Traum. Mammuts im Schneetreiben, zur Strecke gebracht von Jägern, die kaum zu
erkennen gewesen waren.
    Wieso Mammuts? Er hatte
noch nie von Mammuts geträumt. So viel er wußte, waren sie schon lange
ausgestorben. Er hatte eine Zeichnung gesehen, das war noch nicht lange her,
hier, im Rathaus, als er einen der Prachtbände in der Bibliothek
durchgeblättert hatte, auf die der Bürgermeister so stolz war. Das Bild mußte
unterbewußt in ihm fortgearbeitet haben, anders konnte er sich diesen Traum
nicht erklären.
    Geduldig sah Rodraeg
dem Wasser beim Aufkochen zu. Er nahm die schöne Glaskanne aus Fairai,
schüttete behutsam dunkelgrüne Teespitzen in den ebenfalls gläsernen
Siebeinsatz, und füllte die Kanne mit kochendem Wasser. In Gedanken zählte er
die drei Sandstriche, die er den Tee ziehen lassen durfte, entnahm dann das
Glassieb und schnupperte befriedigt brummend an seinem gelungenen Werk. Er nahm
sich ein Täßchen vom Regal und kehrte mit der vollen Kanne in seine Stube
zurück.
    Seufzend blätterte er
die anderen Notizen durch, die er heute nacht noch bearbeiten wollte. Der Bauer
Pargo Abim hatte schon wieder ein Maulswurfsproblem. Wie jedes Jahr. Wie jedes
Jahr war auch in diesem Jahr der beste Mann, dieses Problem zu lösen, Jerik
Trinz aus der Ortschaft Findel. Findel lag zwei Tagesreisen entfernt. Wie jedes
Jahr verlangte Jerik Trinz eine Entschädigung für seine insgesamt viertägige
Reise nach Kuellen und zurück, und wie jedes Jahr fragte Bauer Pargo Abim im
Rathaus nach, ob der Schulze nicht bereit sei, im Interesse Kuellens einen Teil
dieser Entschädigung aus der Stadtkasse beizusteuern. Wie jedes Jahr bestand
Rodraegs Aufgabe nun darin, die Bitte des Bauern abschlägig zu bescheiden, ohne
den Bürgermeister allzu knauserig wirken zu lassen. Außerdem lagen hier noch
eine Notiz vom jungen Schreiber Reyren, der die Unterlagen über den
letztjährigen Brückenbau nicht finden konnte, mit der Bitte, ob Rodraeg sie ihm
nicht auf das Pult legen könne, eine Mahnung vom Händler Hinnis, der zum
wiederholten Male darauf hinwies, daß seine letzte Lieferung von
Tonblumentöpfen ans
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