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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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eine »Dichterin« nannte, die sich »feine Märchen« erspinnen würde.
    Auch nachts, wenn er schlief, litt er und sein qualvolles Stöhnen und erschütterndes Schreien drangen durch das ganze obere Geschoss. Dann stand ich oft auf, um ihn zu wecken und ihm ein wenig Trost zuzusprechen, aber ich konnte sein Leid kaum lindern, denn obwohl er blind war, ließen ihn unter seinem dicken Verband die Bilder nicht ruhen, die der Krieg unauslöschlich in seine Seele gebrannt hatte.
    »Es ist keine Schlacht«, stöhnte er auch in dieser Nacht wieder, »es ist ein Schlachten!«
    Mir wurde eigenartig frostig ums Herz, weil ich wusste,dass auch Amadeus irgendwo im fremden Land auf dem blutgetränkten Feld der Ehre ums Überleben kämpfte. Und ich flehte das Schicksal an, doch nur einmal ein Einsehen zu haben und mir meinen Geliebten unversehrt wiederzugeben.
    Als der Arzt kam, um die Verbände zu wechseln, hielt ich Friedrichs Hand und sah zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Zerstörung. Ich ertrug den Anblick schließlich nicht mehr und rannte hinüber in mein Schlafzimmer, wo ich mich schluchzend auf das Bett warf.
    »Nicht Friedrich, doch nicht auch Friedrich!!!«
    Aber mein Flehen war so vollkommen sinnlos und änderte nichts an der Tatsache, dass mein schöner Friedrich zu einem hässlichen, entstellten Monster geworden war.
    In den nächsten Tagen bekam Friedrich offenbar durch den Wundbrand Fieber und lag fast eine Woche lang auf den Tod danieder. Dann erholte sich sein Körper, seine Seele jedoch vegetierte weiter zwischen den Abziehbildern des erlebten Grauens.
    Er saß nun zwar wieder bei uns im Salon, wirkte jedoch wie versteinert und sprach kaum ein Wort. Nur wenn Amanda sich ihm näherte, zog er sie schweigend an sich und streichelte sie, was sie stets sehr erschreckte, weshalb sie bald einen großen Bogen um ihn machte. Wohl weil er ihr leidtat und sie fühlte, dass er etwas Lebendiges spüren musste, damit er sich sicher sein konnte, selbst auch noch lebendig zu sein, brachte sie ihm eine kleine Katze aus einem wilden Wurf, die er fortan nicht von seinen Knien ließ.
    Ich war erstaunt über ihre Empathie und zugleich sehr glücklich darüber, war es mir doch wieder ein Indiz dafür, dass sie aufgrund dieses feinfühligen Wesens nur Amadeus’ Tochter sein konnte und nicht die von Utz.Das Weihnachtsfest in diesem Jahr war also schon wegen Friedrich eine sehr traurige Angelegenheit. Hinzu kam, dass von Amadeus jede Nachricht fehlte und ich Nacht für Nacht davon träumte, wie sein zerschmetterter Körper in irgendeinem Massengrab vermoderte. Gegen Tretminen und Granaten waren auch Vampire vermutlich nicht gefeit. Ein zerfetztes Herz musste man nicht mehr mit einem Pfahl durchbohren und das ohrenbetäubende Trommelfeuer der Maschinengewehre tat sicher dieselbe Wirkung wie die Litanei eines Exorzismus. Nicht selten erwachte ich schweißgebadet und schreiend und saß für den Rest der Nacht stumm in meinem Sessel und weinte.
    Amadeus war meine Seele, der Sinn meines Lebens, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich ohne ihn weiterleben sollte.
    Hansmann brachte am Heiligen Abend einen Weihnachtsbaum, den er mit den Jungen im Gutsforst geschlagen hatte. Es stürme schon wieder und ihre Gesichter waren hochrot, denn der Regen hatte sie mit harten Schlägen gepeitscht wie mit einer Gerte. Gertrud und ich kochten ihnen Hagebuttentee zum Aufwärmen, während es ums Haus herum weiterwehte und der Wind kräftig an den Fensterläden rüttelte.
    Wir feierten zusammen mit Mathias, Rieke und Gretchen, während Käthe wie all die Jahre zuvor die Festtage bei ihrer eigenen Familie im Dorf verbrachte.
    Der Baum wurde von Gertrud festlich mit Christbaumschmuck aus dem Erzgebirge geschmückt und ein großer Nussknacker sowie eine Dresdener Weihnachtspyramide auf dem Kaminsims zauberten eine gemütliche Stimmung. Wir hatten noch einige Äpfel aus dem Herbst herübergerettet und nun schmorten sie im Ofen und verströmtenfür menschliche Nasen köstlichen Bratapfelduft, der selbst Friedrich erreichte und in ihm Erinnerungen an frühere Weihnachten weckte, als er den Lichterglanz der Kerzen noch selber sehen konnte. Nun saß ich bei ihm auf der Chaiselongue und beschrieb ihm den Baum und alles, was geschah.
    Die Hansmann’schen Kinder spielten Weihnachtslieder auf der Flöte und Gertrud sang mit einem schönen Sopran dazu.
    »Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht …«
    Ich hielt Friedrichs kühle Hand und wir
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