Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
Vom Netzwerk:
fragte mich, was er mit seinen toten Augen sah? Estelle, seine junge Schwester, bevor ich ihren Körper besetzte? Bilder aus ihren gemeinsamen Kindertagen? Er weinte.
    »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Ich wäre in dieser Liebe nie frei von Schuld gewesen, denn ich hätte immer die Schwester in dir gesehen. Es ist ihr Bild, das ich auchjetzt vor meinem inneren Auge habe. Was für ein ungnädiges Schicksal hat sie mir entrissen? Aber welche Hybris auch vom Vater, mit den Urgewalten zu spielen und Zeit und Raum außer Kraft zu setzen, dass so etwas passieren konnte. Für schnöden Ruhm und Mammon!«
    »Er ist mit Leib und Seele Erfinder«, versuchte ich Vanderborg zu verteidigen. »Erfinder kennen keine Grenzen!«
    »Nicht einmal die der Ethik?« Friedrich war empört. »Auch einen Vampir als Schauobjekt zu fangen, fand ich damals schon verwerflich.«
    Ich erinnerte mich, dass er dies in Przytulek tatsächlich seinem Vater vor dem Experiment zu bedenken gegeben hatte, und seufzte.
    »Ach, Friedrich, niemand wollte das, was dann geschehen ist, das Schicksal geht seine eigenen Wege, und wenn du daran denkst, wie es mit mir umgegangen ist, so wirst du begreifen, dass unsere Schuld kleiner ist, als du jetzt glaubst. Früher sahen sich die Menschen als Spielball der Götter und ich glaube, sie hatten recht damit, denn anders kann ich mir die Tragödie meines Lebens nicht erklären.«
    Friedrich schüttelte den Kopf. »Nein, der Mensch muss mehr sein als eine Marionette! Es muss einen selbstbestimmten Sinn in seinem Leben geben und Gerechtigkeit und die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will!«
    Ich lächelte, weil ich durch Hölderlins Worte Amadeus aus ihm sprechen hörte, und sagte herausfordernd: »Finde es heraus, Friedrich! Werde wie wir zum Vampir und du hast alle Zeit der Ewigkeit, um es zu prüfen.«
    Zwar bat sich Friedrich angesichts des Unglaublichen, was ich ihm erzählt hatte, eine Bedenkzeit aus, doch da er nichts zu verlieren hatte, gab ich ihm einige Nächte später den Blutkuss, ließ ihn von meinem Blut trinken undmachte so auch ihn zum Vampir. Und obwohl ich wusste, dass ich ihn dadurch auf die dunkle Seite zog, wo ihm ein Dasein in Finsternis und Verachtung durch die Menschen drohte, hatte ich kein schlechtes Gewissen, denn unsere Finsternis war tausendmal heller und angenehmer als ein Leben mit blinden Augen in einer Welt der Sehenden.
    Ich hatte mich gefragt, ob Friedrich sich vielleicht schneller verändern würde als Amadeus, wusste aber aus dem magischen Buch, dass der Verwandlungsprozess erst nach der ersten eigenen Blutmahlzeit endgültig vollzogen werden würde, und so gab ich mich mit den vampirischen Eigenschaften zufrieden, die sich sofort zeigten. Die wichtigste davon war ohnehin im Moment die Fähigkeit spontaner Wundheilung, und tatsächlich heilten Friedrichs Augen innerhalb weniger Tage und am Ende der Woche konnte er wieder sehen, die schwärende Wunde auf seiner Stirn schloss sich und die jugendliche Vitalität und Kraft kehrten in seinen Körper zurück
    Wenn je ein Preis in unserem Leben zu teuer bezahlt war, dieser nicht! Friedrich blühte auf, gewann Amandas Zuneigung zurück, ritt mit ihr aus und steckte bald voller Pläne. Er gab mir so viel Kraft, dass auch ich aus meiner Melancholie fand und neue Hoffnung schöpfte, Amadeus bald unversehrt wieder in meine Arme schließen zu dürfen.
    Selten hatten wir das Frühjahr so herbeigesehnt wie nach diesem bitteren und langen Winter und selbst im April tobten noch Schneestürme in Deutschland. Unsere Nahrungsmittelreserven waren weitgehend aufgebraucht und die letzte Gans zu Ostern in den Brattopf gewandert. Was unseren Doktoranden gar nicht freute. Ein paar magere Hühner liefen noch im Gehege umher, waren abernicht einmal mehr imstande Eier zu legen. Sie würden darum wohl die nächsten sein, die im Suppentopf landeten. Die Pferde, das sah nun auch Amanda ein, würde allerdings niemand von uns anrühren.
    Ich hatte mich nur zweimal nachts heimlich nach Berlin davongemacht, war allerdings beim letzten Mal in einen Schneesturm geraten, sodass ich mein Ziel nicht erreichte und mir in einer ländlichen Gaststätte ein Opfer für eine Blutmahlzeit suchen musste. Ich lockte einen hübschen jungen Kerl hinter das Haus, delektierte mich in aller Eile an ihm und ließ mich dann von Mathias schnellstens wieder nach Blankensee fahren. Was allerdings durch die widrigen Wetterverhältnisse doch fast bis in den Morgen dauerte und mich nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher