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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
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hielt mit eiserner Hand das Vorderbein oder das Hinterbein fest, das auf seinem Oberschenkel lag, während der Huf beschnitten, das glühende Eisen aufgepresst und nach dem Abkühlen angenagelt wurde. Der Rauch des verbrannten Horns stieg ihm ins Gesicht und wurde zu seinem eigenen Geruch, den er nicht mehr loswurde. Es gab faule Pferde, die ihr ganzes Gewicht auf seinen Oberschenkel stützten, und andere, die nervös, unruhig und bockig waren. Karli stand ruhig und beschwerte sich nicht. Nur manchmal, wenn ein Gaul sich besonders widerspenstig und unwillig gebärdete, schlug er mit der flachen Hand von unten an den Pferdebauch, so schwungvoll und klatschend, dass der Gaul sofort zitternd stillhielt. Nach dem Beschlagen fegte Karli die Hornsplitter zusammen und kippte sie in die Holzkiste. Einmal die Woche wurden sie vom Winzer des Bischofs abgeholt, der mit ihnen die Reben düngte. War gegen Abend noch etwas Zeit vor dem Eindunkeln und die Glut auf der Esse noch nicht erloschen, durfte Karli die dünnen abgelaufenen Hufeisen geradehämmern und aus ihnen Messerklingen schmieden.
    Nach einem Jahr hatte Karli seinen Onkel gefragt, wann er selbst denn einmal ein Pferd beschlagen dürfe.
    Wenn die Zeit gekommen sei, antwortete der Onkel und stocherte in der Glut, dass die Funken stoben.
    Und wann diese Zeit gekommen sei, fragte Karli.
    Onkel Mohn packte das rotglühende Eisen mit der Zange, hielt es prüfend über den Huf und presste es an. Qualm von verbranntem Horn stieg auf und nebelte Karli ein. Das war die Antwort.
    Die Berge, die das Rheintal flankierten, rückten näher zusammen und wurden höher. Die Landschaft vor ihnen wurde felsiger, auf den Gipfeln waren weiße Flecken zu sehen, Sommerschnee. In zwei Tagen würden sie endlich zu Hause sein. Wenn man zu Fuß ging, hatte man Zeit, über einiges nachzudenken. Karl Rauch war damals Hufschmied geworden, und er war sehr zufrieden damit. Hostetter blickte ihn von der Seite an und entdeckte den Anflug von guter Laune in seinem Gesicht.
    Freust du dich, nach Hause zu kommen?, fragte er ihn.
    Weiß nicht, antwortete Rauch.
    Am Nachmittag ließen sie das Städtchen Dornbirn hinter sich, mehrere Gespanne zogen an ihnen vorbei, ohne sie zum Mitfahren einzuladen, bis sich ein Fuhrmann mit einer großen Ladung Salzfässer der winkenden Wanderer erbarmte und sie aufsteigen ließ. Rauch setzte sich rittlings auf eines der Fässer, während Hostetter auf den Kutschbock kletterte und gleich anfing, mit dem Fuhrmann über das Gespann zu fachsimpeln. Hostetter hatte schon als Kind eine Leidenschaft für das Lenken von Pferden gezeigt und in der väterlichen Viehhandlung jede Gelegenheit genutzt, die Leinen in die Hand zu nehmen. Nun hatte er ein offenes Ohr gefunden und erzählte von den schweren Kutschpferden der Brabanter Rasse, von ihrer Kraft und Gutmütigkeit, und von seinem Sechsergespann, mit dem er in den Niederlanden die dreipfündige Kanone gezogen hatte. Hostetter hatte irgendwann die Aufmerksamkeit eines Artillerieoffiziers auf sich ziehen und sein wahres Talent als Fahrer zeigen können. Für ihn gab es keine schlimmere Vorstellung als die, das Leben eines Fußgängers zu führen (wie in den zurückliegenden Wochen). Während er über sein Lieblingsthema redete, bemerkte er eine gewisse Trägheit beim Lenker der Salzfuhre, eine faule Art, die Leinen hängen und die Pferde ihren Weg selber wählen zu lassen. Er musste sich stark zusammenreißen, um dem anderen nicht in die Leinen zu greifen.
    Kurz vor Feldkirch, die Straße war auf beiden Seiten von hohen Hecken gesäumt und beschrieb einen Bogen, den man nicht bis zum Ende überschauen konnte, mussten sie hinter einer Kutsche anhalten. Der Fuhrmann verlor seine Trägheit und begann zu brüllen. Was denn da vorn los sei, ob da jemand betrunken oder eingeschlafen sei. Er bekam keine Antwort. Hostetter sprang vom Bock und ging nach vorn um nachzusehen, Rauch folgte ihm. Vor ihnen versperrte ein dunkelgrüner Landauer mit einem Schimmelgespann die Straße, zwei Herren schauten sorgenvoll aus dem Fenster, der Kutscher auf dem Bock zuckte die Achseln und wies mit seinem Arm nach vorn. Vor dem Landauer stand ein Heuwagen, davor noch ein Gefährt, und so ging es weiter. Eine lange Reihe Gespanne staute sich vor ihnen. Dann sahen sie auch den Grund dafür. Da, wo die Straße durch einen Baum beengt wurde, hatten sich die Räder zweier Fahrzeuge ineinander verkeilt. Das eine war ein mit Holzstämmen beladener Vierspänner, das
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