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Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
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Gerichtsgemeinden, in denen Deutsch, Romanisch und Italienisch gesprochen wurde und die auf ihre Unabhängigkeit großen Wert legten. Es war nicht zu schaffen. Die Landjäger brauchte er fast alle zur Kontrolle der Grenzen mit Italien, Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein.
    Der Baron redete im Schlaf. Was er sagte, hörte sich an wie schroffes Befehlen. Ihm war heiß, er schwitzte, als wäre ein Fieber in ihm. Er träumte von drei riesigen Kugeln, drei Planeten im All, die sich langsam um ein unsichtbares Zentrum drehten. Und er, der Baron, sollte ihre Bahnen verändern, sie in eine gemeinsame Richtung lenken. Eine übermenschliche Aufgabe. Er stöhnte lauter, die Frau Baronin unterbrach ihre nächtlichen Atemgeräusche und fragte: Heinrich? Bist du wach?
    Nein, der Herr Baron schlief bloß mit geschäftiger Unruhe. Drei gewaltige Planeten – und er war nur ein Mensch, wenn auch ein adeliger, beurkundet vom Bayerischen König. Die Familie von Mont war im Besitz eines Schlosses in Schleuis, in der Nähe von Ilanz, dem Hauptort des Grauen Bundes. Schloss Löwenberg stand seit mehr als zwanzig Jahren leer und war inzwischen verwahrlost. Türen und Fenster waren aufgebrochen, und lichtscheues Gesindel hielt sich gelegentlich dort versteckt. Landrichter Christian von Marchion hatte ihn wiederholt darauf hingewiesen, dass sich auf dem Familiensitz der von Monts heimatloses Pack eingenistet habe. Die Eltern des Barons lebten im Tirol, und er selbst bewohnte mit seiner Gemahlin ein standesgemäßes Haus in Chur, zu Füßen des bischöflichen Hofes. Die Zuchtanstalt, in der er seinen Amtssitz hatte, war nur hundert Schritte vom Wohnhaus entfernt. Er konnte morgens zu Fuß aus dem Haus, an den bischöflichen Ställen vorbei, und schon stand er vor dem schweren, mit Eisenbändern gesicherten Tor des Sennhofs.
    Das Gefängnis bereitete ihm ebenfalls Sorgen, da es nicht sicher war. Vor wenigen Tagen waren zwei Weibsbilder ausgebrochen, die sich in Hinterzimmern der Churer Schankhäuser der Wollust gegen Bezahlung hingegeben hatten und die außerdem des wiederholten Diebstahls beschuldigt wurden. Gleichzeitig mit ihnen war ein falscher Arzt geflohen. Der Mann wurde für den Tod einer angesehenen Churer Bürgerin verantwortlich gemacht. Einige Wochen zuvor hatte er eine Annonce in der Churer Zeitung veröffentlichen lassen und sich darin als Chirurgus mit zahlreichen Referenzen empfohlen. Er werde vom 1. bis zum 6. Juni im Hotel Lukmanier weilen und dort für die Durchführung von Operationen verschiedenster Art zur Verfügung stehen. Frau Foppa, die Gattin des Meisters der Schneiderzunft, hatte sich von ihm operieren lassen und war verblutet. Nachfragen hatten ergeben, dass der Mann keine Lizenz als Arzt besaß. Es sollte ihm nächste Woche der Prozess gemacht werden, nun war er zusammen mit den beiden Weibern geflohen.
    Weshalb ihnen die Flucht aus dem Sennhof gelungen war, konnte der Wärter nicht erklären. Er gab aber zu, in der Wachstube für einen Augenblick eingenickt zu sein. Als er wieder aufwachte, waren die Weiber und der falsche Arzt verschwunden. Die Zellentüren standen offen, der Schlüsselbund lag im Hof. Darauf machten sich Venzin und Arpagaus, die beiden in der Hauptstadt stationierten Landjäger, sofort an die Verfolgung. Es hieß, die Flüchtigen seien in Maienfeld gesehen worden und wollten sich rheinabwärts aus dem Staub machen.
    Als der Baron aus seinem unruhigen Schlaf erwachte, stellte er erschrocken fest, dass das Nachtlicht im Zimmer erloschen war. Er ärgerte sich, sowohl über die Magd, die solch schlechte Nachtlichter besorgte, als auch über den Krämer Moritzi am Kornplatz, der solch schlechte Ware anbot. Ein Nachtlicht sollte die ganze Nacht hindurch brennen können, dafür war es doch vorgesehen. Lange konnte der Baron aber nicht bei seinem Ärger verweilen. Seine Phantasie pflegte in der Dunkelheit sogleich Ungeheuer zu gebären. Es machte keinen Unterschied, ob er sich seiner Einbildung bewusst war oder nicht. Die Gestalten waren nicht weniger grässlich, nur weil sie seiner Vorstellung entsprangen. Einbildungskraft, vermutete er, war außerdem die Grundlage für den Wahnsinn. Die Vermischung von Realität und Phantasie konnte auf eine ernsthafte Geisteskrankheit hinauslaufen. Es war dumm und gefährlich, sich freiwillig solchen Zuständen hinzugeben.
    In panischer Angst saß er im Bett und nahm den röchelnden Atem seiner Gemahlin als diffuse Bedrohung wahr, wie auch das Bellen eines
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