Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
Vom Netzwerk:
andere ein leichtes Einspänner-Cabriolet. Auf der Seite des Holzwagens wäre genügend Platz gewesen, um auszuweichen. Der Fuhrmann schlug mit der Peitsche auf seine Pferde ein, um mit Gewalt den Durchbruch zu erzwingen, aber es gelang ihm nicht. Im Cabriolet saßen ein älterer Herr und eine jüngere Frau. Der ältere Herr versuchte vergebens, seinen großen Braunen rückwärts zu bewegen. Das Cabriolet war fest zwischen dem Holzwagen und dem Baum eingekeilt. Die Frau schaute hilflos die beiden Freunde an, und der lange Rauch ging zu ihr hin und half ihr beim Aussteigen.
    Hostetter wunderte sich ordentlich darüber, war sonst doch er für die Sorgen der Damen zuständig (neben den Pferden seine andere Leidenschaft). Seit er Rauch kannte, da war dieser noch Lehrjunge beim Schmied, hatte er ihn nicht ein einziges Mal mit einem weiblichen Wesen reden sehen. Und jetzt reichte er dieser Unbekannten die Hand? Kannten sie sich etwa? Sie war ziemlich groß für eine Frau und bewegte sich langsam, aber nicht ohne Anmut. Obwohl es warm war, trug sie ein wollenes Tuch über der Schulter. In der Hand eine Tasche. Sie war gekleidet wie für eine Reise.
    Dann wurde Hostetters Aufmerksamkeit wieder vom zornigen Kutscher gefangen, der fluchte und mit der Peitsche knallte. Der Kerl war offensichtlich nicht mehr nüchtern und übersah, dass er ohnehin nicht an den wartenden Gespannen vorbeikommen würde. Er war derjenige, der ein paar Schritte zurücksetzen musste, um die anderen vorbeiziehen zu lassen. Hostetter griff dem Gespann in die Zügel und versuchte die Pferde zu beruhigen. Er sah, dass sich sein Kamerad weiter mit der Frau unterhielt und rief ihn zu Hilfe: He, Rauch! Da spürte er plötzlich ein Brennen an der Wange, als hätte ihn eine Hornisse gestochen. Der betrunkene Kutscher holte erneut mit der Peitsche aus. Rauch war mit ein paar Schritten bei ihm, riss ihm die Peitsche aus der Hand und schleuderte sie über die Hecke. Der Kutscher ließ die Leinen fallen und erhob seine Fäuste gegen Rauch, aber das hätte er sich überlegen sollen. Rauch fing seinen Arm ab, riss den Kutscher zu sich herunter, packte ihn an der Jacke und warf ihn ebenfalls über die Hecke. Da der Kutscher etwas schwerer war als die Peitsche, landete er oben auf der stachligen Brombeerhecke, wo er wie am Spieß zu schreien begann.
    Während der Fuhrmann sich mühselig aus den Dornen zu befreien versuchte und dabei übel zerkratzt wurde, ließ Hostetter den Vierspänner rückwärts rollen, bis die Räder nicht mehr verkeilt waren. Rauch stemmte das Cabriolet hinten hoch und rückte es etwas vom Baum weg. Dann half Rauch der Frau wieder in den Wagen. Sie fragte ihn, ob er das letzte Stück bis Feldkirch mit ihr und dem Herrn Doktor mitfahren wolle. Der Herr Doktor habe sicher nichts dagegen, nachdem er ihnen so geholfen habe. Hostetter traute seinen Augen nicht, als Rauch das Angebot annahm. Der ältere Herr rückte an den linken Rand des Cabriolets, die hochgewachsene Frau setzte sich in die Mitte, Rauch nahm rechts von ihr Platz.
    Bis Feldkirch!, bestätigte Rauch und nickte Hostetter zu.
    Die Pferde warfen sich ins Geschirr, die Gespanne setzten sich nacheinander wieder in Bewegung, und die Räder ächzten und rumpelten an Hostetter vorbei, der warten musste, bis die Salzfuhre auftauchte und er sich wieder neben den Kutscher setzen konnte.
    5 Das Cabriolet war eigentlich für zwei Personen ausgelegt, zu dritt war es etwas eng auf der gepolsterten Sitzbank. Die junge Frau war jedoch vergnügt und schien es lustig zu finden, zwischen zwei Männern eingeklemmt zu sein.
    Ich heiße Franziska, sagte sie und schenkte Rauch ein Lächeln. Er blickte geradeaus auf den Fahrweg. Der große Braune ging im Schritt hinter dem vorausfahrenden Gespann.
    Und unser Retter?, fragte sie, als Rauch auch nach längerer Pause keine Anstalten machte, sich seinerseits vorzustellen. Hat er auch einen Namen?
    Rauch, sagte er.
    Rauch? Das ist ja lustig. Gibt es da auch ein Feuer?
    Er dachte angestrengt nach, was auf diese Frage zu antworten war, aber es fiel ihm nichts ein.
    Hat er auch einen Vornamen?, wollte sie wissen.
    Ja, sagte er, und nach einer Pause, in der er noch über den Zusammenhang von Rauch und Feuer nachdachte und sie lachte, fügte er hinzu: Karl.
    Er wusste nicht, wie ihm geschah. Noch nie hatte eine junge Frau nach seinem Namen gefragt. Überhaupt hatte sich selten eine Frau mit ihm unterhalten, seit er aus der Obhut der Mutter entlassen war. Seine Welt war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher