Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dunkelheit in den Bergen

Die Dunkelheit in den Bergen

Titel: Die Dunkelheit in den Bergen
Autoren: Silvio Huonder
Vom Netzwerk:
eine männliche, als Schwabengänger, beim Hufschmied in der Lehre, in der Armee. Frauen kamen darin allenfalls am Rande vor. Er nahm sie aus der Distanz wahr, als fremde Wesen, denen seine Kumpane im Freigang nachstellten (allen voran Hostetter). Und nun presste sich ein warmer, weicher Körper an seine Seite, und die Frau stellte ihm Fragen, die ihn verwirrten. Er brauchte eine Weile, um die Bedeutung ihrer Worte zu erfassen. Ob es ein Feuer gibt? Ein Haus mit Herd hatte er jedenfalls nicht. Und an einer Esse hatte er schon lange nicht mehr gestanden. War es das, was sie wissen wollte?
    Da stellte die neugierige Person schon die nächste Frage: Woher kommt er denn?
    Aus Vrin, sagte er, im Lugnez.
    Das ist doch im Bündnerland, lachte sie, er kommt aber aus der anderen Richtung. Geht er nach Hause?
    Ja, sagte er.
    Was für ein maulfauler Kerl, dachte der ältere Herr, der die Zügel in der Hand hielt und so tat, als würde er sich auf den Verkehr konzentrieren und gar nicht zuhören.
    Der jungen Frau schien die Wortkargheit ihrer neuen Begleitung nichts auszumachen. Und wo war er?, fragte sie.
    In Holland, im Militär.
    Dann ist er ein Söldner auf dem Heimweg?, sagte sie. Deshalb kann er so zupacken, ich meine den Streit mit dem Kutscher vorhin, was für ein Grobian und betrunken dazu. Ich bin ja froh, dass der Herr Doktor so nett ist, mich bis Feldkirch mitzunehmen. Ich bin aus Dornbirn und will auch ins Bündnerland, sagte sie.
    Rauch war froh, dass er zuhören durfte und keine komplizierten Fragen mehr beantworten musste.
    Heut schlaf ich in Feldkirch bei meiner Tante, erzählte sie offenherzig, morgen früh nehm ich die Postkutsche. Ich will zu meinem früheren Dienstherrn, der schuldet mir Geld. Hat er auch einen Beruf?
    Hufschmied.
    Hufschmied ist gut, sagte sie ernsthaft, Pferde wird es geben, solang der Mensch reisen muss, also immer. Trinkt er auch manchmal?, wollte sie nach einer Pause von ihm wissen.
    Schnaps?, fragte er.
    Ja?
    Nicht viel.
    Das ist gut so. Ein Mann darf nicht zuviel trinken, und er muss groß sein. Das sind die wichtigsten zwei Dinge, sagte sie.
    Er war groß, und er trank selten Branntwein, dachte er.
    Wo würde ich ihn denn finden, wenn ich mit meinem Dienstherrn fertig bin und Karl Rauch besuchen wollte?,
    fragte sie und lachte dabei, als würde sie einen Scherz machen.
    Beim Hufschmied Mohn in Chur, erwiderte Rauch ernst, das ist mein Onkel, vielleicht stellt er mich wieder ein.
    Das war ja ein langer Satz, dachte der Herr Doktor, der besonders aufmerksam die Räder beachtete, wenn er andere Wagen kreuzte.
    6 Auf dem Hauptplatz von Feldkirch traf Hostetter seinen Freund wieder. Rauch saß auf dem Brunnenrand und hielt sein Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne. Das Cabriolet mit der Frau war verschwunden.
    Franziska übernachtet bei Verwandten, erzählte Rauch, und morgen fährt sie mit der Postkutsche weiter.
    Du kennst schon ihren Vornamen?, fragte Hostetter ungläubig.
    Sie will mich in Chur besuchen, sagte Rauch. Wenn sie von ihrem Dienstherrn zurückkommt, will sie mich besuchen.
    Die Nacht verbrachten Hostetter und Rauch bei einem Bauern in Schaan. Nachdem sie ihm eine große Ladung Heu in den Stall gebracht hatten, durften sie sich mit an den Tisch setzen und Kartoffelsuppe essen. Das Heu wurde ihr Nachtlager. Es duftete frisch und trocken.
    Wie hieß sie schon wieder?, fragte Hostetter, als sie es sich nebeneinander bequem gemacht hatten.
    Rauch ließ sich Zeit und sagte dann: Wen meinst du?
    Waren da noch mehr Frauen, fragte Hostetter, mit denen du heute geplaudert hast? Mich würde das nicht erstaunen. Von heute an trau ich dir alles zu, neckte er seinen Freund, obwohl er wusste, dass Rauch sich nicht necken ließ, nie. Genauso gut konnte man versuchen, einen Zaunpfosten zu ärgern. Hostetter wusste auch nach Jahren noch nicht, ob Rauch schwer von Begriff war, keinen Humor hatte oder was sonst mit ihm los war. Rauch lachte höchstens einmal, wenn er sich irgendwo den Kopf anstieß. Aber auch darauf war kein Verlass. Wie damals in der Kaserne, als Rauch unter dem Tisch herumkroch. Hostetter würde das nie vergessen. Ein Soldat hatte sich ein Scheibchen von einer Wurst abgeschnitten, es über die Tischkante rollen und auf den Boden fallen lassen und war zu faul, es aufzuheben. Rauch tauchte sofort unter den Tisch, als er sah, dass niemand Anspruch auf das Wurstscheibchen erhob, kroch zwischen den Füßen der Regimentskameraden herum, die lachten und grölten und ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher