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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
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meinem Vater. Hast du verstanden? Er wird dir Geld geben, damit du mich verrätst. Doch du darfst es nicht tun!«
    »Versprochen.«
    »Ich will versuchen, mich nach Köln durchzuschlagen.«
    »Köln?«
    »Sei ruhig!«, zischte sie. »Man könnte dich hören.«
    »Aber das ist furchtbar weit«, flüsterte Jakob.
    »Ich weiß. Aber ich muss es einfach schaffen.«
    »Ich werde dich nicht verraten.«
    Sie beugte sich zu ihm hinab, drückte ihn kurz an sich und ging dann bis zur Weggabelung, wo sie die Straße Richtung Süden einschlug. Jakob sah ihr nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Er brauchte nicht lange, um einen Entschluss zu fassen. Annas Vater hatte seine Schulden nicht bezahlen können und war nun im Keller des Pfarrers eingesperrt. Es war nicht das erste Mal, und Jakob wusste, dass Helme noch immer irgendeine Möglichkeit gefunden hatte, um Geld aufzutreiben. Woher, das wusste er nicht. Doch dass ihm die Nachricht von Annas Flucht etwas wert sein würde, dessen war sich Jakob sicher. Also schlenderte er hinüber zum Pfarrhaus, setzte sich auf einen der großen Findlinge davor und wartete. Irgendwann würde Helme wieder auf freien Fuß gesetzt werden, und dann wäre Jakob zur Stelle. Er zog sein Messer hervor und setzte seine Schnitzerei an der Flöte fort, die er am nächsten Markttag verkaufen wollte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Wie dumm Anna doch war, wenn sie glaubte, ihm vertrauen zu können. Er selbst würde einen solchen Fehler niemals begehen.
    Kaum dass Anna hinter der Biegung verschwunden war, blickte sie sich um. Jakob hatte ihr die Geschichte abgekauft und wartete wahrscheinlich nur darauf, ihrem Vater einige Pfennige abzuschwatzen, indem er ihm verriet, dass sie sich in Richtung Köln davongemacht hatte. Eilig legte sie den Weg bis zu dem kleinen Waldstück zurück, wo sie im Schutze der Bäume die Richtung änderte und ihren eigentlichen Weg nach Bremen einschlug.

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    2 . Kapitel
    S ein Körper fühlte sich taub an. Gawin kauerte am Waldboden und beobachtete jede noch so kleine Bewegung seines Opfers. Die Angst, dass ihm seine Beine im richtigen Moment nicht gehorchen würden, ließ ihm den Angstschweiß im Nacken zusammenlaufen. Vorsichtig prüfte er seine Glieder. Zu lange schon hatte er dort gehockt und das Kaninchen nicht aus den Augen gelassen. Fest umklammerte er den massiven Stock, mit dem er zustechen würde. Langsam stemmte er sich vom Boden hoch. Das Kaninchen blieb ungerührt sitzen. Wenn es jetzt aufschrecken und davonlaufen würde, müsste er verhungern. Schon seit Tagen hatte er nur noch Blätter gekaut. Davor war es ein Apfel gewesen, den er einer der Marktfrauen gestohlen und sofort verschlungen hatte. Die Prügel, die er dafür bezog, waren fürchterlich gewesen. Noch immer spürte er die Wunden, die das Knotenseil, mit dem der Marktaufseher zuschlug, auf seinem Rücken hinterlassen hatte. Doch immerhin war er an diesem Tag nicht vor Hunger eingegangen. Ob ihm das heute wieder gelingen würde, wusste er nicht. Vorsichtig pirschte er sich heran, das Kaninchen blickte auf. Gawin erstarrte. Einen Moment lang schien das Tier ihn anzusehen. Er fühlte sich ertappt, rührte sich nicht und wartete, bis es wieder zu Boden sah. Jetzt war der Moment gekommen. Er fasste den Stab so fest, dass seine Fingerknöchel weiß unter der Haut hervortraten. Dann machte er einen Sprung, holte mit dem Stock aus und stieß ihn seiner Beute in den Leib. Gawin keuchte, starrte auf den Kaninchenkörper und wartete. Kein Fortspringen, keine Bewegung. Das Kaninchen war tot. Seine ganze Anspannung entlud sich in einem einzigen, gellenden Siegesschrei. Eine Welle der Befriedigung ging durch seinen Körper. Mit einem Ruck zog er den Stock aus dem Leib, hob das tote Geschöpf vom Boden auf und betrachtete es von allen Seiten. Er würde nicht verhungern. Weder heute noch in den nächsten Wochen.

    Anna beobachtete den Fremden mit wechselnden Gefühlen. Er schien nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre zu sein und besaß einen hageren, ausgemergelten Körper. Seine Bekleidung bestand ausschließlich aus Lumpen, die vor Dreck standen. Die Arme waren so dünn, als würden sie jeden Moment zerbrechen. Überhaupt wirkte sein gesamter Körper, als hätte er überhaupt kein Fleisch mehr auf den Knochen, sondern als wären diese nur noch von Haut umspannt. Nie zuvor hatte sie solch einen klapperdürren Menschen gesehen, und der Anblick ließ sie erschaudern. Bei dem Schrei, den der Junge
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