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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
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nach dem Erlegen seiner Beute ausgestoßen hatte, war sie zusammengefahren. Still verbarg sie sich hinter den Bäumen, während ihr Herz heftig pochte. Zwar konnte ihr dieser kleine Kerl nicht gefährlich werden, doch die Art, in der er das Kaninchen erlegt hatte, ließ an seiner Entschlossenheit keinen Zweifel aufkommen. Sie hatte viel Geld bei sich, und wenn ihr dieses Kind auch körperlich unterlegen sein mochte, konnte es dennoch schnell genug sein, um ihr die Geldkatze zu entreißen und im Dickicht zu entkommen. Also wartete sie, bis der Junge seine Habseligkeiten zusammengetragen hatte und sich weiter durch den Wald schlug, um dann in sicherer Entfernung ihren eigenen Weg fortzusetzen.

    Gawin war auf der Hut. Das Mädchen, das sich so tölpelhaft laut durch den Wald bewegt hatte und ihn nun beobachtete, musste irgendetwas im Schilde führen. Bestimmt würde es versuchen, ihm seinen Fang zu stehlen. Was sollte es auch sonst von ihm wollen? Dass er außer seiner Beute nichts besaß, sah man ihm schließlich deutlich an. Doch er konnte sich nicht mehr allzu viel Zeit lassen, das Kaninchen aufzuspießen und zu braten. Sein Hunger war einfach zu groß. Wenn die junge Frau ihm noch lange folgte, würde er wohl oder übel ein Stück aus dem Tier herausreißen und roh hinunterschlingen müssen. Seinen Verschlag aufzusuchen schien ihm zu riskant. Er sah sich um. Nicht weit von hier gab es eine einigermaßen geschützte Stelle, wo er ein Feuer machen und dabei die Umgebung im Auge behalten konnte. Wenn sie ihn dort überfallen wollte, würde er sie rechtzeitig kommen sehen, um sich das Kaninchen zu schnappen und damit verschwinden zu können.

    Ein Geräusch ließ Anna zusammenfahren. Hastig drehte sie den Kopf und blickte sich um. Wurde sie verfolgt? Oder war es ein Tier, das sie jeden Moment angreifen würde? Schnell fuhr sie wieder herum und suchte nach dem Jungen, der sich weiter in nördlicher Richtung bewegte. Nur noch einen Moment, dann würde sie ihn aus den Augen verlieren. Wie von selbst setzten sich ihre Beine in Bewegung. Auch wenn sie nicht darauf hoffen durfte, würde er ihr womöglich beistehen, sollte sie in Not geraten. Und solange er ohnehin in die gleiche Richtung ging, in die auch sie wollte, konnte es nicht schaden ihm zu folgen. Er machte nicht den Eindruck, als ob er sich nur auf der Jagd befunden hätte und nun mit seinem Fang nach Hause zurückkehren würde. Mehrfach blieb er stehen und blickte sich nach allen Seiten um. Anna duckte sich, um nicht von ihm entdeckt zu werden. Nach einiger Zeit lichtete sich der Wald. Der Bursche schien sich hier auszukennen. Zielstrebig hielt er auf eine Fläche zu, die offenbar schon mehrfach als Feuerstelle benutzt worden war. Er sammelte einige Zweige und schichtete sie auf. Aus einem Tuch zog er etwas hervor, das Anna auf die Entfernung hin nicht erkennen konnte. Doch nachdem nur einen Augenblick später einige Funken aufsprühten, musste es wohl ein Feuerstein gewesen sein. Sorgfältig legte der Knabe noch mehrere dicke Äste auf das von ihm entzündete Reisig, trat einen Schritt zurück und betrachtete die Flammen, die sich gierig am Holz hinauffraßen. Er zog einen etwas kleineren Holzspeer hervor als den, mit dem er das Kaninchen erlegt hatte, und spießte ein Stück Fleisch auf. Anna stellte verwundert fest, dass er seine Beute irgendwann, nachdem er sie erlegt hatte, auch zerteilt haben musste, ohne dass sie es bemerkt hatte. Obwohl er das Fleisch erst wenige Augenblicke über den Flammen gedreht hatte, zupfte er etwas vom Rand ab und steckte es in den Mund. Sein Hunger musste unvorstellbar groß sein. Bei diesem Anblick begann auch Annas Magen, sich bemerkbar zu machen und laut zu knurren. Schnell duckte sie sich auf den Boden hinab, wartete einen Moment, ob der Knabe sie entdeckt haben könnte, und zog, als dieser nicht einmal in ihre Richtung sah, ein Stück Trockenfleisch aus ihrem Bündel hervor. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie seit ihrem Aufbruch vor zwei Tagen nur einmal etwas gegessen hatte. Zu schnell hatte sie vorankommen und zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Vater freikam, schon möglichst weit weg sein wollen. Selbst wenn er sich zunächst in eine falsche Richtung wandte, würde ihm wahrscheinlich irgendwann aufgehen, dass sie ihm eine Falle gestellt und ihn in die Irre geführt hatte. Wohin er dann als Nächstes gehen würde, wusste nur Gott allein. Sie schreckte hoch. Der Knabe saß nicht mehr am Feuer. Oh, mein Gott! Sie war
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