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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
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unaufmerksam gewesen und hatte nicht bemerkt, dass er sich davongemacht hatte. Einen Moment schlug ihr Herz schneller. Wo war er hin? Gerade wollte sie sich aufrichten, als sie plötzlich von hinten gepackt und hochgezogen wurde. Ihr Kopftuch wurde so heftig heruntergerissen, dass sich ihre hellblonden, langen Haare aus dem Knoten lösten.
    »Na, was haben wir denn da für ein Täubchen?«
    Anna wehrte sich gegen den harten Griff, konnte sich jedoch nicht aus der Umklammerung befreien. Der Alkoholgestank des grobschlächtigen Kerls erinnerte sie so stark an ihren Vater, dass ihr vor lauter Ekel und Angst ganz übel wurde.
    »Was treibst du dich hier herum, hä?« Sein Gesicht war nun ganz nah vor ihrem. Sie wandte den Kopf ab, um dem Fäulnisgeruch, der seinem Mund bei jedem Wort schwallartig entströmte, auszuweichen.
    »Na, willst du nicht antworten?« Er zog sie noch dichter an sich heran. »Alles hier im Wald gehört dem Grafen Bernhard zur Lippe, dem Herrn von Rheda. Und ich bin sein Meier. Also bestimme ich über den Wald, die Ländereien und alles, was sich dort befindet. Verstehst du?« Er umfasste ihre Taille und presste sein Gesicht an ihren Hals. »Alles hier ist meins«, keuchte er und leckte mit der Zunge über ihre Haut.
    Anna versuchte, ihn von sich wegzuschieben. »Lasst mich!« Verzweifelt drückte sie ihre Hände gegen seine Gurgel, und es gelang ihr tatsächlich, ihn ein Stück von sich zu drücken. Worauf er nur noch fester zupackte, sie erneut an sich zog und mit seiner Hand ihre linke Brust umfasste. »Ja, so mag ich’s.« Brutal presste er seine Lippen auf die ihren, als er plötzlich mit einem verdutzten Gesichtsausdruck seine Umklammerung löste und einen Schritt nach hinten taumelte. Ein weiteres Mal sauste der dicke Ast auf seinen Hinterkopf, und der Meier schlug, ohne sich noch abfangen zu können, der Länge nach auf dem Waldboden auf.
    Anna blickte den Jungen an, der mit erhobenem Arm dastand, bereit, nochmals zuzuschlagen. Erst als er sah, dass der Mann sich nicht mehr rührte, ließ er seinen Arm mit dem Ast langsam sinken.
    »Du musst besser aufpassen. Eine Horde Reiter hätte sich lautloser durch den Wald bewegt als du«, murmelte er zerknirscht, beugte sich dann zu Annas Angreifer hinab und durchsuchte ihn. Er zog ein kleines Lederbündel aus dessen Wams hervor, prüfte den Inhalt und steckte das Säckchen ein.
    »Wir sollten von hier verschwinden. Er wird noch ein Weilchen schlafen und mit einer gewaltigen Beule am Kopf wieder aufwachen. Dann will ich lieber nicht mehr hier sein.«
    Benommen hob Anna ihr Bündel auf, zog das Kopftuch wieder über ihr Haar und folgte dem Jungen, der sich flink seinen Weg durch den Wald bahnte. Sie lief ihm eine ganze Weile nach, bis er schließlich abrupt stehen blieb. Er sah sich um, und auch Anna blickte in alle Richtungen, um zu sehen, ob ihnen jemand gefolgt sein könnte.
    »Wir sind da. Komm!«
    Der Wald war hier so dicht, dass man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Einen Moment glaubte sie sogar, den Jungen verloren zu haben. Doch als sie etwas weiterging, stieß sie mit der Hüfte gegen das Holzdach eines Verschlages, duckte sich und kroch auf allen vieren hinein. Drinnen war es stockdunkel. Tastend rutschte sie auf den Knien weiter. Der Geruch wurde modriger, der Boden sandiger.
    »Wir sind gleich da«, hörte sie die Stimme des Jungen.
    Sie hallte, und es klang, als sei er ein gutes Stück von ihr entfernt. Wie blind bewegte sie sich weiter voran, bis sie ein Geräusch hörte und im nächsten Moment einige Funken, gefolgt von einer Flamme, aufblitzen sah, die sich zischend durch ein paar trockene Zweige brannte.
    Sie war in einer Steinhöhle, in einem großen Felsendom, wie sie nun erkannte, als der Knabe ein größeres Holzstück nachlegte und es sofort um einiges heller wurde.
    Sie ließ ihren Blick an den Wänden entlangschweifen, die über und über mit Malereien versehen waren. An einigen Stellen waren sogar Formen in den Stein gehauen worden, und in einer Ecke waren kleine geschnitzte Holzfiguren aufgereiht.
    »Das reicht«, befand er, als er ein weiteres Stück Holz aufgelegt hatte. »Wenn die Flammen zu weit nach oben züngeln, kann der Rauch nicht mehr abziehen.«
    Sorgfältig errichtete er mit weiteren Holzstücken eine Art Gestell zum Braten des Fleisches ähnlich dem, das Anna schon gesehen hatte, als sie ihn im Wald aus der Ferne beim Feuermachen beobachtet hatte.
    »Hast du all die Malereien und Schnitzarbeiten
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