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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
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angefertigt?«
    Der Junge nickte. »Hast du etwas zu essen bei dir?«
    Anna bejahte und zog schnell ein Tuch aus ihrem Bündel hervor, in dem sich Trockenfleisch, fünf Äpfel, ein Kanten Brot und einige Beeren befanden, und breitete alles vor dem Jungen aus. Hastig griff er nach einem Apfel und biss in ihn hinein.
    »Gut. Ich gebe dir auch was von dem Kaninchen ab.«
    Anna nickte stumm und sah ihn an. Aus der Nähe erkannte sie, dass er keineswegs mehr so jung war, wie sie ihn geschätzt hatte. Er konnte nur wenig jünger sein als sie selbst. Sein Körper war zwar dünn und ausgemergelt, doch er war so groß wie sie, vielleicht sogar etwas größer. Mit verbissenem Gesichtsausdruck bohrte er ein kleines, stumpfes Messer in den Rumpf des Kaninchens und versuchte, ein Stück Fleisch aus ihm herauszuschneiden.
    »Warte, ich habe etwas Besseres.« Anna zog ein Messer hervor, das sie ihrem Vater, kurz bevor sie das Haus für immer verließ, gestohlen hatte. Er hatte es dazu benutzt, Hühner auszuweiden, oder manchmal auch, um ihr Angst zu machen. »Hier!«
    Der Bursche nahm es und betrachtete es von allen Seiten. »Donnerwetter!«
    Augenblicklich stieß er es in den Leib des Kaninchens und versenkte es fast vollständig darin. Geschickt bewegte er es vor und zurück, trennte das Fell von den Muskeln und zog es danach mühelos vom Rumpf ab. Er teilte das Fleisch in mehrere Stücke, spießte eines nach dem anderen auf und lehnte es vorsichtig an das soeben aufgeschichtete Feuergestell. Blut tropfte herab und zischte in den Flammen auf. Sorgsam packte er das restliche Fleisch, von den Eingeweiden getrennt, auf ein Tuch, legte die Enden des Stoffes übereinander, bis alles abgedeckt war, und schob das Bündel vorsichtig an die Höhlenwand. Dann drehte er sich wieder dem Feuer zu.
    Anna starrte in die Flammen. »Danke«, brachte sie kurz hervor.
    Er erwiderte nichts.
    »Du musst besser aufpassen«, sagte er nach einer Weile. »Was macht eigentlich eine wie du hier im Wald?«
    Anna schwieg. Ganz gewiss würde sie ihm nicht erzählen, wer sie war und woher sie kam. Und erst recht nicht, wohin sie gehen wollte. Er hatte ihr zwar geholfen. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihm vertrauen konnte. Sie hätte nicht einmal mit ihm hierherkommen sollen. Ihr Herz pochte schneller, als sie an das Geld dachte, das sie bei sich trug. Ohne zu zögern, hatte er den Meier niedergeschlagen und ihn beraubt. Und nun befand sie sich mit ihm zusammen in diesem Verschlag. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Verstohlen blickte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    »Dann eben nicht.« Seine Stimme ließ Anna zusammenzucken.
    »Wenn du stumm sein willst wie ein Fisch, ist mir das auch recht.«
    Er drehte alle Spieße nacheinander um. Das gebratene Fleisch roch köstlich, und Annas Magen meldete sich lautstark.
    »Dein Magen erzählt mehr als du.«
    Sie musste schmunzeln. Auf einmal kam es ihr albern vor, sich vorzustellen, was ihr der Bursche alles an möglichen Greueltaten antun könnte, während er einfach nur dasaß und darauf wartete, das Fleisch essen zu können.
    »Ich heiße Anna!«
    »Meine Güte, der Magen spricht auch noch.«
    Sie lachte kurz auf, um sofort wieder zu Boden zu sehen.
    »Ich heiße Gawin.«
    »Woher kommst du, Gawin?«
    »Von hier und dort. Und du?«
    »Ich auch.«
    Sie sahen sich einen Moment lang an, dann lachten sie los.
    »Also kommen wir sogar aus dem gleichen Dorf«, witzelte Gawin. Er betrachtete seinen unerwarteten Gast. Sie war bildhübsch, wahrscheinlich etwas älter als er. Als ihr der Meier das Tuch vom Kopf gerissen hatte, waren lange, hellblonde Haare zum Vorschein gekommen. Solche Haare hatte er noch nie zuvor gesehen, nur davon gehört. Die Damen bei Hofe, hieß es, bleichten ihre Haare so lange mit Zitronensaft, bis sie einen helleren Farbton annahmen. Warum sie das taten, hatte Gawin nie verstanden. Doch dieses Mädchen machte ihm nicht den Eindruck, seine Haare derart behandelt zu haben. Einen Moment überlegte er, es danach zu fragen. Doch da es gerade einmal mit Mühe seinen Namen hervorgebracht hatte, von dem er noch nicht einmal wusste, ob es sein richtiger war, ließ er es lieber bleiben. Und warum sollte es auch einem wie ihm auf eine solche Frage antworten?
    »Wohnst du hier?«
    Er nickte.
    »Ziemlich ungewöhnlich, so eine Höhle mitten im Wald.«
    »Eigentlich nicht. Hier gibt es einige Felsen, sie fallen nur nicht so auf, weil sie völlig von Pflanzen überwuchert sind.
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