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Die dritte Ebene

Die dritte Ebene

Titel: Die dritte Ebene
Autoren: Ulrich Hefner
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Himmel gute Fahrt aufgenommen. Mit knapp zwölf Knoten hielt das Schiff über das Foxebecken auf die Barrowstraße zu. Die Frachträume quollen über von Weizen, der für Yokohama bestimmt war. Knapp 7000 Seemeilen durch eine eisfreie Beringstraße lagen vor den Seemännern. Bei voller Fahrt wäre das Schiff 18 Tage unterwegs. Doch bereits südlich der Devon-Inseln brach das Inferno aus heiterem Himmel über das Schiff herein.
    Das Unheil kündigte sich mit der raschen Zunahme des Windes an. Über der Baffinbai türmten sich Wolken zu einem riesigen dunklen Wolkengebirge auf. Der Wind wühlte die Wellen auf und trieb die Sturmfront rasch westwärts. Der Kapitän der Island Queen schaute ungläubig auf seine Instrumente. Das Barometer fiel ebenso rasant wie die Temperatur, und Orkanböen peitschten gegen die großen Fenster der Brücke. Der Sturm schob die Wellenberge vor sich her, die mit einem heftigen Donnern gegen den Schiffsrumpf prallten. Noch immer vermeldete der Wetterdienst einen trockenen und warmen Frühlingstag mit mäßigem Wind aus südöstlicher Richtung, doch inzwischen hatte der Wind auf Nordost gedreht. Das Schiff lief querab zu den Wellen, und der Kapitän wies seinen Steuermann an, den Frachter in den Wind zu drehen.
    Eine Welle traf die Island Queen und ließ das Schiff erzittern. Der massige Rumpf neigte sich bedrohlich nach Backbord.
    »Beidrehen, um Gottes willen, kurbeln Sie schon!«, rief der Kapitän auf der Brücke dem Rudergänger zu, als erneut ein Brecher den Schiffskörper traf. Plötzlich spielten sämtliche Instrumente verrückt, sogar der elektronische Kreiselkompass drehte sich wie wild, ganz so als ob das Instrument selbst die Orientierung verloren hätte. Aus dem Lautsprecher des Funkgeräts drang nur noch statisches Rauschen. Jeglicher Kontakt zur Außenwelt war abgebrochen.
    Mittlerweile hatte das Wolkengebirge die Barrowstraße erreicht, und eine nahezu undurchdringliche Dunkelheit senkte sich auf das Schiff herab. Blitze erhellten jäh die Finsternis. Ein weiterer Brecher überspülte das Deck und riss einige überraschte Matrosen mit sich in die kalte Flut. Andere konnten sich mit letzter Kraft an die Reling klammern. Der Kapitän hielt sich am Kontrollpult fest, während der Rudergänger von der Wucht des Aufpralls in eine Ecke des Brückenraums geschleudert wurde. Benommen raffte er sich wieder auf, nachdem sich das Schiff wieder ausgerichtet hatte. Blut rann ihm über die Stirn. Der Funker und der zweite Offizier, die sich noch auf der Brücke befanden, suchten Halt an fest verankerten Konsolen. Das Schiff ächzte und stöhnte angesichts des Drucks der Fluten auf die Stahlflanken.
    »Kommt!«, rief der Kapitän den Männern zu. »Wir müssen sie in den Wind drehen, sonst …«
    Ungläubig starrte er auf die Wand aus Wasser und Gischt, die über die Steuerbordseite auf die Brücke zuraste. Eine Monsterwelle von gigantischem Ausmaß. Die Vorläufer der Wellen drückten das Schiff auf die Backbordseite. Der Kapitän wandte den Kopf. Er wusste, dass es für ein Ausweichmanöver zu spät war. Nur noch Sekunden würde es dauern, bis die gigantische Welle das Schiff erfasste und mit sich riss. Er hatte von diesen Monsterwellen und ihrer verheerenden Wirkung gehört und machte sich keine Illusionen. Das Letzte, was der Kapitän wahrnahm, war das schrille Lachen des Rudergängers. Jetzt verliert er auch noch den Verstand, dachte er, als im selben Augenblick die Woge auf der Brücke wie eine Bombe einschlug. Das Sicherheitsglas barst, und eiskaltes Wasser ergoss sich in den Raum. Der Kapitän wurde von den kalten Fluten gegen die Außenwand gedrückt und verlor die Besinnung. Die Island Queen rollte zur Seite, und die letzten Matrosen, die sich noch auf dem Vorschiff befunden hatten, verschwanden in der Tiefe.
    Erst als die Welle ablief, kam das Schiff zur Ruhe, doch es war zu spät. Die Wassermassen waren bereits in das Unterdeck eingedrungen und hatten die Frachträume überspült. Die Maschinen waren verstummt, auch in diesen Räumen stand das Wasser bereits mannshoch. Ein riesiges Loch klaffte am Bug. Das Schiff war verloren.
    Sieben Minuten nachdem die Island Queen zehn Seemeilen südlich der Devon-Inseln in der Barrowstraße gesunken war, funkte die Außenstation des Meteorologischen Dienstes in Coppermine eine Sturmwarnung an die Schiffe in der Labradorsee und warnte vor orkanartigen Winden und heftigen Wellen. Zu spät für die Island Queen und zwei weitere Schiffe, die sich
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