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Die dritte Ebene

Die dritte Ebene

Titel: Die dritte Ebene
Autoren: Ulrich Hefner
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zu dieser Zeit auf dem Weg in die Hudsonstraße befunden hatten.
     
Ciudad Guayana, Venezuela
    Sie hatten den Tag in der kleinen Bodega neben der Pension Margarita in Ciudad Guayana zugebracht, bevor sie am Abend müde und auch ein wenig betrunken zu Bett gegangen waren. Der Sturm war über die Stadt hereingebrochen, und die Regenfluten hatten sich über die Straßen ergossen und sie in schlammige Bäche verwandelt. Juan hatte eine Flasche Tequila bestellt und sich zu Brian an den Tisch gesetzt. Sie kamen ins Gespräch, und Juan erzählte, dass er seit Jahren schon Touristen durch das Orinoco-Delta führte. Zwar gebe es nicht viele Besucher übers Jahr, das Geschäft sei dennoch lohnenswert, denn die meisten der Touristen waren gut betucht und ließen den einen oder anderen Dollar springen. So ermöglichten sie ihm ein einträgliches Geschäft und ein gutes Leben. Er selbst stamme aus Cabimas im Osten, wo er als Fischer gearbeitet hatte, doch diesem Leben habe er vor einigen Jahren den Rücken gekehrt.
    Juan schien ein patenter Bursche zu sein. Die sonnengegerbte Haut und der dunkle Bart ließen ihn etwas verwegen erscheinen, aber mit jedem Glas wurde er Brian sympathischer. Als Juan nach dem Grund seines Besuchs bei den Warao-Indianern fragte, zögerte Brian und wich einer Antwort aus. Was hätte er sagen sollen? Dass er eine Frau aufsuchen wolle, die zaubern und in der Luft schweben konnte? Eine solche Antwort hätte bei seinem Gegenüber Gelächter und Spott hervorgerufen. Juan blieb jedoch beharrlich. Schließlich legte sich Brian eine Antwort zurecht, die der Wahrheit nahekam, ohne ihn verrückt oder idiotisch erscheinen zu lassen. Doch das Gegenteil trat ein.
    »Gringo, es gibt Dinge hier, da würdet ihr Americanos staunen«, antwortete Juan und goss ein weiteres Glas ein. »Ich weiß, wovon ich rede. Die Warao sind ein Volk mit alter Tradition. Und wenn ich Hilfe brauche, weil ich mich verletzt habe oder krank fühle, dann mache ich einen großen Bogen um die Hospitäler. Ich kenne eine Medizinfrau ganz in der Nähe, die Wunder vollbringen kann. Ich weiß, es mag komisch klingen in einer Zeit, wo uns die Zivilisation immer weiter von unseren Wurzeln entfernt, aber wir Menschen haben eine Seele, und wenn diese Seele krank wird, dann nützt eure ganze moderne Medizin nichts mehr. Ich weiß, wovon ich spreche.«
    Brian schluckte. Juan hatte diese Worte mit einer Inbrunst ausgesprochen, die erkennen ließ, wie aufrichtig er es meinte. Brian war überrascht, hatte er doch Juan anfänglich für einen ungebildeten Gaucho gehalten, den außer Dollars nicht viel mehr interessierte.
    »Aber wir beide sind ja gesund«, führ Juan fort und schenkte noch einmal ein. »Jetzt trinken wir, und morgen fahren wir nach Tucupita. Dort wartet ein Boot, mit dem wir den Orinoco hinunterfahren. Ich bringe dich zu deiner fliegenden Frau, keine Angst, Gringo.«
    Brian ergriff das Glas. »Wann werden wir aufbrechen?«
    »Nach Sonnenaufgang.«
    »Aber der Regen?«
    »Bis morgen hat die Sonne die Straßen wieder ausgetrocknet«, erklärte Juan und bestellte eine weitere Flasche. »In diesem Land wirst du immer nass. Entweder es regnet, oder dir läuft der Schweiß in Strömen über den Rücken.«
    Juan sollte recht behalten. Als sie am nächsten Morgen kurz nach sechs Uhr aufbrachen, waren die Straßen um Ciudad Guayana wieder befahrbar. Die Luft war kühl und frisch. Sie setzten sich in den Landrover und fuhren, nachdem sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, durch eine ausgedehnte Savanne Richtung Westen, dem Orinoco entgegen. Brian griff in seine Hemdtasche und zog eine Schachtel Tabletten hervor. Er schluckte eine der weißen Pillen und spülte sie mit Wasser aus seiner Feldflasche hinunter.
    Juan musterte ihn grinsend. »War der Tequila nicht gut?«, fragte er.
    Brian nickte. »Gut schon, nur ein wenig zu viel.«
    »Oh, ihr Americanos«, seufzte Juan. »Ihr seid stolz auf euren Whiskey, aber kaum bekommt ihr etwas Anständiges, schon seid ihr krank.«
    »Ich bin kein Amerikaner«, entgegnete Brian. »Ich bin Kanadier.«
    Er ließ sich im Sitz zurücksinken und schloss die Augen. Ihm stand nicht der Sinn nach einer Unterhaltung.
     

2
National Weather Service, Camp Springs, Maryland
    Der Fernschreiber ratterte unaufhörlich und spuckte Unmengen von Papier aus, das in einem blauen Wäschekorb landete. Professor Wayne Chang, Meteorologe und Geophysiker, saß vor seinem Computer und warf einen ungläubigen Blick auf die
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