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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel
Autoren: Colleen McCoullough
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saß sie, grübelnd, an ihrer Unterlippe nagend. Ihr Blick streifte über die Fotografie, die Dane zeigte: Andenken an den Tag seiner Priesterweihe. Und dann bemerkte sie plötzlich, daß sie mit den Zehen den zusammengerollten Teppich aus KänguruhFellen streichelte. Abrupt hielt sie inne, stand hastig auf.
    Sie ging in die Küche. Dort setzte sie Kaffeewasser auf. Dann sah sie sich in dem Raum um, als wäre sie zum ersten Mal hier. Kleine Risse und Sprünge, Unebenheiten an den Wänden, jetzt entging ihr nichts. Von der Decke hing ein Korb mit Philodendron, und die Uhr in Form eines Katzenkopfes mit rollenden Augen schien mit eindringlichem Ticken darauf aufmerksam machen zu wollen, daß hier die Zeit wahrhaftig im Unmaß verschwendet werde. Auf der Merktafel stand in
    Blockschrift: HAARBÜRSTE EINPACKEN. Sie blickte zum Tisch. Ein Blatt Papier. Richtig, die Bleistiftskizze, die sie vor einigen Wochen von Rain gemacht hatte. Auch ein Zigarettenpäckchen lag dort. Sie nahm eine heraus, steckte sie an. In der einen Hand hielt sie noch immer den Brief von ihrer Mutter. Sie setzte sich an den Küchentisch, fegte mit der freien Hand die Skizze von Rain von der Platte auf den Fußboden, stellte ihre Füße darauf. Du verdammter Jeutone! dachte sie. Sie öffnete den Brief, begann zu lesen. »Meine liebe Justine,
    zweifellos bist Du im Begriff, Deinen Entschluß mit gewohnter impulsiver Schnelligkeit in die Tat umzusetzen. Deshalb hoffe ich sehr, daß dieser Brief Dich noch rechtzeitig erreicht. Was Deinen Entschluß herbeigeführt hat, weiß ich zwar nicht, aber sollte es irgend etwas in meinen letzten Briefen gewesen sein, so verzeih mir bitte. Auf gar keinen Fall wollte ich eine so tief einschneidende Reaktion bei Dir auslösen. Ich glaube, ich sehnte mich ganz einfach nach ein wenig Mitgefühl, aber ich vergesse immer, daß unter Deiner scheinbar so rauhen Schale ein recht weicher Kern verborgen ist. Ja, ich bin einsam, schrecklich einsam. Aber das ist nichts, woran Deine Heimkehr irgend etwas ändern könnte. Du wirst gleich verstehen, was ich meine. Sieh einmal, niemand - auch Du nicht -kann mir wiedergeben, was ich verloren habe. Aber es ist ja nicht nur mein Verlust. Es ist ja auch Dein Verlust und Nannas Verlust - es ist ein Verlust, den wir alle erlitten haben. Mir scheint, daß Dich die Vorstellung verfolgt, und es ist eine irrige Vorstellung, daß Du in irgendeiner Weise daran schuldig bist. Dein plötzlicher impulsiver Entschluß sieht mir sehr nach einer Art Sühneakt aus. Aber das, Justine, ist Überheblichkeit, ist Anmaßung. Dane war ein erwachsener Mann und kein hilfloses Baby. Ich habe ihn doch fortgelassen, nicht wahr? Wenn ich da Deine Maßstäbe anlegen wollte, so müßten mich meine Schuldgefühle ja irgendwann ins Irrenhaus bringen. Soll ich mir Vorwürfe machen, weil ich Dane sein eigenes Leben habe leben lassen? Nein, da mache ich mir wirklich keine Vorwürfe. Justine, keiner von uns ist Gott, aber es mag sein, daß mir das durch meine längere Lebenserfahrung klarer ist als Dir.
    Würdest Du heimkehren, so wäre das, als ob Du mir Dein Leben opfertest. Das will ich nicht. Das habe ich nie gewollt. Und das weise ich jetzt zurück. Du gehörst nicht nach Drogheda und hast nie nach Drogheda gehört. Solltest Du immer noch nicht wissen, wo Du hingehörst, so kann ich Dir nur raten, auf der Stelle sehr eingehend darüber nachzudenken. Manchmal bist Du doch furchtbar begriffsstutzig. Rainer ist ein sehr netter Mann, aber mir ist in meinem ganzen Leben noch kein Mensch begegnet, der so altruistisch gewesen wäre, wie Du das von ihm anzunehmen scheinst. Dane zum ehrenden Andenken kümmert er sich so um Dich? Justine, es ist wirklich an der Zeit, daß Du erwachsen wirst!
    Liebstes, ein Licht ist erloschen. Für uns alle ist es erloschen. Und es gibt nichts, absolut nichts, was Du da tun kannst, verstehst Du, nichts? Natürlich wäre es eine Lüge, wenn ich behaupten wollte, ich wäre völlig glücklich. Das gibt es wohl in keinem Menschenleben. Aber wenn Du meinst, daß wir hier auf Drogheda unsere Tage mit Weinen und Wehklagen verbringen, so irrst Du Dich sehr. Wir haben Freude am Leben, eben weil unsere Lichter noch brennen, nicht zuletzt auch für Dich. Danes Licht ist verloschen. Bitte, liebe Justine, versuche das zu akzeptieren.
    Komm nur heim nach Drogheda, wir möchten Dich so gern wiedersehen.
    Doch für immer? Nein.
    Denn Du würdest hier nicht glücklich werden, und es wäre ein völlig
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