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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel
Autoren: Colleen McCoullough
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Frühe etwas Schales, Mattes, Säuerliches zu haben schien, tauchte der
    Gedanke an Drogheda plötzlich auf wie eine Verlockung. Die süße, reine Luft, die Stille, die nur von natürlichen Lauten und Geräuschen durchbrochen wurde, der Friede.
    Sie stand auf, setzte sich an ihren Schreibtisch und schrieb einen Brief an ihre Mutter.
    »Ich hoffe, daß Du verstehst, warum ich seit Danes Tod nicht nach Hause gekommen bin«, schrieb sie. »Aber wie immer Du darüber auch denken magst, ich weiß, daß Du Dich freuen wirst, wenn ich Dir sage, daß ich nun doch kommen werde, und zwar für immer. Ja, Mum, ich kehre endgültig heim. Du hast recht behalten - es ist die Zeit gekommen, wo ich mich nach Drogheda sehne. Hier hält mich nichts mehr. Alle Erfolge sind für mich bedeutungslos geworden. Soll ich für den Rest meines Lebens auf der Bühne stehen? Und was außer dem Theater gibt es für mich? Ich möchte etwas, das wirklich von Dauer ist, wo ich mich sicher und geborgen fühle. Deshalb komme ich nach Drogheda, denn Drogheda ist ja all das. Keine leeren Träume mehr. Wer weiß, vielleicht heirate ich Boy King, falls er mich noch will, und fange dann endlich etwas Vernünftiges mit meinem Leben an, setze zum Beispiel eine Schar kleiner Neusüdwaliser in die Welt. Ich bin müde, Mum, so müde, daß ich gar nicht richtig weiß, was ich schreibe, und ich wünschte so sehr, ich könnte meine Gefühle ausdrücken.
    Nun, ich werde es ein andermal versuchen. Mit >Macbeth< sind wir praktisch fertig, und da ich mich für die nächste Spielzeit noch für nichts entschieden habe, werde ich auch niemandem Ungelegenheiten bereiten, wenn ich dem Theater adieu sage. In London wimmelt es von Schauspielerinnen. Clyde kann für mich in zwei Sekunden ausreichenden Ersatz finden, nicht aber Du, Mum, nicht wahr? Es tut mir leid, daß ich einunddreißig Jahre gebraucht habe, um das zu erkennen.
    Hätte Rain mir nicht auf die Sprünge geholfen, so hätte es vielleicht noch länger gedauert, aber er ist nun einmal sehr scharfsichtig. Ihr seid euch nie begegnet, und dennoch scheint er Dich besser zu verstehen als ich. Nun ja, man sagt ja, der Zuschauer sieht mehr als der unmittelbar Beteiligte, und für ihn gilt das jedenfalls. Im übrigen bin ich’s leid, daß er mein Leben von seinen olympischen Höhen überwacht. Offenbar fühlt er sich an ein Versprechen gebunden, das er Dane einmal gegeben hat. Denn es ist schon wirklich lästig, wie oft er herüberkommt, um mich zu besuchen. Nur habe ich inzwischen einsehen müssen, daß ich es bin, die lästig ist. Wenn ich endlich auf Drogheda und also in Sicherheit bin, braucht er sich ja an sein Wort nicht mehr gebunden zu fühlen. Ich meine, dann erübrigt sich das doch. Er kann mir also dankbar sein, daß ich ihm die weiten Flüge erspare.
    Sobald hier alles geregelt ist, werde ich Dir schreiben, wann Du mich erwarten kannst. Inzwischen vergiß bitte nicht, daß ich Dich auf meine sonderbare Weise liebe.«
    Ohne die üblichen Schnörkel setzte sie ihren Namen darunter, und ihre Unterschrift sah ähnlich aus wie vor langen Jahren, als sie unter wachsamen Nonnenaugen pflichtgemäß ihre Briefe geschrieben hatte. Dann faltete sie die Blätter zusammen, steckte sie in ein Luftpostkuvert. Als letztes kam die Anschrift ihrer Mutter. Später, auf dem Weg zum Theater, zur letzten Vorstellung von »Macbeth«, steckte sie den Brief in einen Briefkasten.
    Und dann ging sie methodisch daran, in England ihre Zelte abzubrechen. Als Clyde hörte, daß sie Schluß machen wolle, bekam er eine Art Tobsuchtsanfall. Einen Tag später schickte er sich dann darein, noch immer grollend, doch nicht mehr völlig ohne Verständnis. Was Justines Wohnung betraf, so würde sie gewiß keine Schwierigkeit haben, dafür einen Mieter zu finden. Sie gehörte zu einer Kategorie, um die man sich riß. Und tatsächlich: kaum erfuhren die Leute, daß Justine ausziehen wollte, so klingelte fast ununterbrochen das Telefon. Das wurde zu einer solchen Plage, daß sie schließlich den
    Hörer von der Gabel nahm und neben den Apparat legte. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne Mrs. Kelly gemacht, die bei ihr seit langem »nach dem rechten« sah. Daß Miß O’Neill im Ernst die Absicht hatte, von hier fortzugehen, wollte ihr einfach nicht in den Kopf, und während sie zwischen Kisten, Kästen und Koffern umherwerkelte, legte sie heimlich wieder den Hörer auf die Gabel, in der abergläubischen Hoffnung, es werde jemand anrufen, der die
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