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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel
Autoren: Colleen McCoullough
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gab sich sehr erleichtert. »Wirklich?«
    »Glaubst du, ich hätte es sonst so lange ohne dich ausgehalten? Nein, diese Beziehung zwischen uns war etwas Flüchtiges, Vorübergehendes. Aber ich denke an dich noch immer als liebe Freundin, und als liebe Freundin vermisse ich dich sehr.« »Oh, Rain, ich dich auch!«
    »Das ist gut. Als Freund darf ich dann also bleiben, ja?« »Natürlich.«
    Er streckte sich auf dem Mantel aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, musterte sie mit einem Lächeln. »Wie alt bist du jetzt, dreißig? Nun, in diesen - wie soll ich sagen - Klamotten siehst du eher aus wie ein schlampiges Schulmädchen. Falls du sonst schon keine Verwendung für mich hast - als persönlicher Aufpasser für ein Minimum an Eleganz wäre ich noch zu gebrauchen.« Sie lachte. »Zugegeben
    - als ich damals jederzeit mit dir rechnen mußte, habe ich mehr auf mein Äußeres geachtet. Im übrigen - ich mag ja dreißig sein, aber so taufrisch bist du ja auch nicht mehr mit deinen zweiundvierzig Jahren. Kommt einem gar nicht mehr so groß vor, der Altersunterschied zwischen uns. Und abgenommen hast du. Fehlt dir auch nichts, Rain?«
    »Ich war nie dick, sondern nur ziemlich kräftig gebaut. Nun, bei der dauernden Schreibtischhockerei scheint buchstäblich die Muskulatur zu schrumpfen.«
    Sie ließ sich tiefer gleiten, schob ihr Gesicht dicht an seines. »Oh, Rain, es tut ja so gut, dich wiederzusehen! Außer dir ist ja keiner das Geld wert.«
    »Danke für das Kompliment. Nun ja. Arme Justine! An Geld sollte es dir jetzt wirklich nicht fehlen, nicht wahr?«
    »An Geld? Nein. Sonderbar, daß mir der Kardinal sein ganzes Vermögen hinterlassen hat.« Sie schüttelte den Kopf. »Genaugenommen natürlich nur die Hälfte, die andere war Dane zugedacht. Aber das ist mir ja nun auch zugefallen.« In ihrem Gesicht zuckte es. Rasch drehte sie den Kopf. Als sie sich wieder unter Kontrolle hatte, sprach sie weiter. »Weißt du, Rain, ich würde etwas darum geben, zu erfahren, was genau der Kardinal meiner Familie eigentlich war. Ein Freund, nichts weiter? Da muß mehr gewesen sein. Aber was nur? Das ist für mich ein Geheimnis, und ich wünschte, ich könnte es lüften.«
    »Was wird’s da schon zu lüften geben?« sagte er beiläufig, doch eine Spur zu hastig. Er stand auf, reichte ihr die Hand. »Komm, Herzchen, ich lade dich zum Dinner ein. Wir werden schon ein Restaurant finden, wo die Presse ihre Augen hat, damit sie nachher schreiben kann, zwischen der karottenköpfigen australischen Schauspielerin und dem gewissen deutschen Kabinettsmitglied sei der Bruch wieder gekittet. Mein Ruf als Playboy hat doch sehr gelitten, seit du mir den Laufpaß gegeben hast.«
    »Lieber Freund«, sagte sie, »mir scheint, du bist nicht ganz auf dem laufenden. Eine karottenköpfige australische Schauspielerin nennt man mich nicht mehr. Ich bin jetzt eine hinreißende britische Schauspielerin mit tizianrotem Haar und
    - seit meiner Darstellung der Cleopatra - unwiderstehlich. Willst du etwa behaupten, du wüßtest nicht, daß mich die Kritiker die exotischste Cleo seit Jahren nennen?« Mit gewinkelten Armen und Händen bildete sie eine Art ägyptische Hieroglyphe.
    Er hob die Augenbrauen. »Exotisch?« fragte er zweifelnd. »Ja, exotisch«, erwiderte sie mit fester Stimme.
    Kardinal di Contini-Verchese war tot, und Rain reiste jetzt nur noch selten nach Rom. Dafür kam er um so häufiger nach London. Zuerst war Justine ganz einfach glücklich, überglücklich. Endlich hatte sie seine Freundschaft wieder. Doch nach und nach stellte sich immer stärker ein eigentümlich bohrendes Gefühl ein, ein quälendes Unbehagen. Nie spielte Rain auch nur mit einem Wort oder einer Geste auf das Verhältnis an, das früher zwischen ihnen bestanden hatte. Zwar wollte sie es auf gar keinen Fall wieder, dieses frühere Verhältnis, das sagte sie sich oft und oft, aber es enttäuschte sie doch tief, daß ihm das offenbar so wenig bedeutet hatte. In den ersten Monaten nach Danes Tod war es für sie grauenvoll gewesen, dieser unablässige Kampf gegen die Sehnsucht nach Rain, gegen das fast ununterdrückbare Verlangen, ihn bei sich, in sich zu spüren, im Körper und in der Seele. Doch sie durfte dem nicht nachgeben, nein, sie durfte nicht. Denn es war, als ob sich immer und immer wieder über das Gesicht des lebenden Rain das Gesicht des toten Bruders schöbe. Und dann, endlich, schien sie sich damit abgefunden zu haben, daß es nicht mehr so werden konnte wie
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