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Die Diktatorin der Welt

Die Diktatorin der Welt

Titel: Die Diktatorin der Welt
Autoren: Kurt Mahr
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war, daß das Wesen den Tod fand – etwa weil unmittelbar um seinen Körper herum die Elementarteilchen eines größeren Körpers gruppiert waren, der es verschlang.
    Das wahrnehmende Wesen begann, einen Zusammenhang zwischen den Wahrnehmungen verschiedener Universen zu spüren. Es konstruierte eine kausale Verbindung zwischen dem Universum, in dem der größere Körper des Feindes sich noch ein Stück weit weg befand, und dem, in dem er so nahe war, daß er Gefahr bedeutete. Das Wesen fing an, sein Augenmerk mit Vorzug auf die Universen zu richten, die den Körper des Feindes in seiner unmittelbaren Umgebung enthielten. Auf andere, ungefährliche Universen achtete es zunächst kaum mehr und schließlich überhaupt nicht mehr.
    Es schuf sich ein Modellbild. Das Bild sah so aus: Zuerst befindet sich der Gegner noch in weiter Entfernung, aber dann ist er plötzlich ganz nahe und schlägt zu. »Zuerst« und »dann« sind zeitliche Begriffe. Die Zeit als Begriff ist ein vormenschliches Denkprodukt. Das erste der Wahrnehmung befähigte Wesen erschuf ihn, nachdem es, um sich selbst zu erhalten, gelernt hatte, aus der Unzahl von Universen nur diejenigen zu betrachten, in denen ihm Gefahr drohte.
    Die Zeit ist nicht naturgegeben. Sie ist ein künstliches Produkt der organischen Wahrnehmfähigkeit.
    Soweit Arthur Milling. Er war nicht mehr dazu gekommen, mit seiner Hypothese zu experimentieren. Er war an die zweihundert Jahre, als er sie entwickelte, und kurze Zeit später zog er es vor, der Hast des irdischen Alltags mit Hilfe der üblichen Dosis Metazenin zu entfliehen.
    Sein Wort fiel auf fruchtbaren Boden. Die Psychologen jubelten auf. Phänomene, die sich jahrhundertelang der wissenschaftlichen Deutung hartnäckig entzogen hatten, wie zum Beispiel Träume und gewisse Geisteskrankheiten, fanden plötzlich eine einleuchtende Erklärung. Sie waren nichts weiter als Manifestationen gewisser rudimentärer Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, mehr Universen wahrzunehmen, als es im bewußten Zustand wahrnehmen konnte, weil sein Blickwinkel durch die jahrmilliardenlang geübte Praxis der selektiven Wahrnehmung eingeengt war.
    Ein Mensch, der im Traum einen Hund mit drei Köpfen sah, nahm in Wirklichkeit ein Universum wahr, in dem ein solcher Hund existierte. Der Mann, der in vermeintlichem Wahn sich für Napoleon hielt, lebte simultan in zwei Universen – einem, in dem er Napoleon war, und einem zweiten, in dem man ihn in eine Nervenklinik gesteckt hatte.
    Die Dinge lagen in Wirklichkeit nicht so einfach. Im Gegenteil. Die Neurophysiker erkannten nach wenigen Monaten, daß sie bei der Erfassung der Lage ohne die Hilfe der Mechanomathematiker nicht auskommen würden, und den Mechanomathematikern standen die Haare zu Berge, als ihnen aufgetragen wurde, mit Hilfe ihrer elektronischen Rechengehirne das Verhalten des menschlichen Wahrnehmungsvermögens in einem Kosmos zu studieren, der rund zehn hoch fünfhundert Volumelemente und annähernd soviel Elementarteile enthielt und daher aus zwei hoch zehn hoch fünfhundert verschiedenen Universen bestand.
    Der Versuch, das Problem auf statistische Weise zu lösen, brachte wertvolle, aber unanschauliche Resultate. Niemand vermochte sich vorzustellen, wie ihm zumute wäre, wenn ihm plötzlich die Fähigkeit, mehrere Universen simultan wahrzunehmen, zurückgegeben würde.
    Eine andere Schule, zunächst geleitet von einem von Millings Assistenten, verfolgte einen anderen Weg. Der Wahrnehmungsmedianismus des menschlichen Gehirns war zumindest in Umrissen bekannt. Es müßte sich herausfinden lassen, warum er nicht in der Lage war, anders als selektiv zu funktionieren.
    Ein bahnbrechender Erfolg wurde erzielt, als Ken Lohmer noch ein junger Student war und das angesammelte Wissen seiner Vorgänger von Hypnobändern wie ein Schwamm das Wasser in sich aufsaugte. Die Existenz lokalisierbarer Wahrnehmungszentren wurde entdeckt. Jedes der Zentren war ein Mikrorechengehirn mit Nukleinmolekül-Bruchstücken als polarisierbaren, binären Speicherzellen. Eingehende Untersuchungen ermittelten, daß ein großer Teil der Zentren völlig brachlag und niemals benutzt wurde, weiterhin, daß selbst die benutzten Zentren Zehntausende von Speicherzellen enthielten, die selten oder nie aktiviert wurden.
    Das Rätsel schien gelöst. Die Lösung war in gewissem Sinne enttäuschend, denn eine einfache Überschlagsrechnung ergab, daß das Gehirn des Menschen selbst nach Aktivierung aller Perzeptionszentren
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