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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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ich, werden meine eigenen Mutmaßungen die Grenzen des abstrakten Konzepts überschreiten und in die lebendige Welt eingehen.«
    Der Applaus war dünn und verstreut. Ebenezer Fraser, der den Vortrag aus der Deckung der Kulissen beobachtet hatte, im Schatten von Seilen und Sandsäcken, fühlte sich entmutigt. Aber wenigstens war es vorbei. Sie verließ das Rednerpult, um zu ihm zu kommen.
    Fraser öffnete die vernickelten Schließen ihrer Reisetasche. Lady Ada ließ ihr Manuskript hineinfallen, gefolgt von ihren Glacéhandschuhen und ihrem winzigen, bebänderten Hut.
    »Ich glaube, sie verstanden mich!«, sagte sie gut gelaunt. »Es klingt sehr elegant auf französisch, nicht wahr, Mr. Fraser? Eine sehr rationale Sprache, Französisch.«
    »Was nun, Milady? Zum Hotel?«
    »Mein Umkleidezimmer«, sagte sie. »Diese Hitze ist ziemlich ermüdend … Können Sie den Dampfwagen für mich rufen? Ich werde bald nachkommen.«
    »Gewiss, Milady.« Fraser, die Reisetasche in einer Hand, den Degenstock in der anderen, geleitete Lady Ada zu dem engen kleinen Umkleideraum, öffnete die Tür, begleitete ihr Eintreten mit einer Verbeugung, stellte ihr die Reisetasche vor die Füße und schloss die Tür fest. In der Abgeschiedenheit des Umkleideraums würde das gnädige Fräulein den Trost der versilberten Brandyflasche suchen, die sie in der unteren linken Schublade ihrer Frisierkommode versteckt hatte – in mitleiderregender Tarnung eingewickelt in Seidenpapier.
    Fraser hatte sich die Freiheit genommen, Mineralwasser in einem Eiskübel bereitzustellen. Er hoffte, dass sie den Brandy wenigstens ein bisschen verdünnen würde.
    Er verließ den Vortragssaal durch eine rückwärtige Tür, dann schlug er einen Bogen um das Gebäude, aus alter Gewohnheit wachsam und vorsichtig. Sein schlechtes Auge schmerzte unter der Augenklappe, und er stützte sich auf den Hirschhorngriff des Degenstocks. Wie er erwartet hatte, war weit und breit nichts zu sehen, was auf Schwierigkeiten hindeutete.
    Aber auch vom Chauffeur des gemieteten Dampfwagens war weit und breit nichts zu sehen. Unzweifelhaft hielt sich der Halunke irgendwo an einer Flasche fest oder beschwatzte gerade ein leichtes Mädchen. Oder vielleicht hatte er seine Anweisungen missverstanden, denn Frasers Französisch war nicht das beste. Er rieb sich das gute Auge und spähte in den Verkehr. Wenn der Kerl in zwanzig Minuten nicht auftauchte, würde er eine Droschke rufen.
    Er sah das gnädige Fräulein ziemlich unsicher an der rückwärtigen Tür des Vortragssaales stehen. Wie es schien, hatte sie eine Taghaube aufgesetzt – und ihre Reisetasche vergessen, was ihr ähnlich sah. Er eilte hinkend zu ihr. »Hierher, bitte, Milady – der Dampfwagen wird uns an der Ecke aufnehmen …«
    Er verstummte. Es war nicht Lady Ada.
    »Ich glaube, Sie verwechseln mich, Sir«, sagte die Frau auf Englisch, und sie schlug den Blick ihrer blauen Augen nieder und lächelte. »Ich bin nicht Ihre Königin der Maschinen. Ich zähle bloß zu ihren Bewunderern.«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Madame«, sagte Fraser.
    Die Frau blickte schüchtern auf das feine Jacquardmuster ihres weißen Musselinrocks. Sie trug eine abstehende französische Turnüre und eine steife, spitzenbesetzte Ausgehjacke mit hochgepolsterten Schultern. »Die Lady und ich sind ziemlich ähnlich gekleidet«, sagte sie mit einem halben Lächeln. »Die Lady muss bei Monsieur Worth kaufen! Darin kann man ein Kompliment für meinen eigenen Geschmack sehen, Sir, n’est-ce pas ?«
    Fraser sagte nichts. Ein leiser Verdacht begann sich in ihm zu regen. Die Frau, eine schmucke kleine Blondine, vielleicht Mitte vierzig, trug die Kleidung der Achtbarkeit. Aber sie trug drei goldene Brillantringe an den Fingern und von ihren Ohrläppchen baumelten fein gearbeitete und in Goldfiligran gefasste Ohrgehänge aus Jade. Neben dem Mundwinkel hatte sie ein umwerfendes Schönheitspflästerchen, und ihre großen blauen Augen hatten bei allem Anschein gereifter Unschuld den kecken Glanz der Halbwelt – einen Ausdruck, der irgendwie sagte: Ich kenne dich, Polyp.
    »Sir, darf ich mit Ihnen auf die Lady warten? Ich hoffe, sie wird es nicht als lästig empfinden, wenn ich sie um ein Autogramm bitte.«
    Fraser nickte. »An der Ecke. Wir erwarten dort den Dampfwagen.« Er bot ihr den linken Arm, nahm den Stockdegen in die Rechte. Es würde nicht schaden, ein kleines Stück zu gehen, bevor Lady Ada herauskäme; er wollte diese Frau im Auge behalten.
    An der Ecke
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