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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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1875.)
    Ich erinnere mich an einen Winter, es war ein sehr langer und kalter Winter, und damals, vor den Radikalen, herrschte in England bittere Armut. Was mein Bruder Albert war, der besorgte sich oft ein paar Ziegelsteine und bestrich sie mit Vogelleim und legte sie beim Stall aus, um Spatzen zu fangen. Und dann rupfte er sie, er und ich zusammen, ich half ihm. Dann machte Albert Feuer, und wir brieten diese kleinen Spatzen in Mutters Pfanne, mit einem großen Stück Schmalz. Und meine Mutter machte uns eine große Kanne Tee, und dann gab es, was wir eine Teeparty nannten, und zum Tee aßen wir diese Spatzen.
    Mein Vater … er ging zu allen Ladenbesitzern in der Chatwin Road und erbettelte Fleischabfälle. Auch Knochen, weißt du, Hammelknochen, alles mögliche, getrocknete Erbsen, Bohnen und übrig gebliebene Karotten und Rüben und … Manchmal bekam er etwas Hafermehl, und ein Bäcker gab ihm altes Brot … Mein Vater hatte einen großen eisernen Kessel … Darin machte er Haferschleim für die Pferde, und dann reinigte er ihn, und wir machten Suppe in diesem großen Pferdekessel. Ich kann mich erinnern, wie die armen Leute kamen. In diesem Winter kamen sie zweimal in der Woche. Sie mussten ihre eigenen Schüsseln und Krüge mitbringen. So hungrig waren sie, damals.
    Und Eddie, hast du je von der irischen Hungersnot in den 40er-Jahren gehört? Ich glaube nicht. Nun, die meisten Iren waren bettelarm und hatten fast nur Kartoffeln zu essen, weil wir ihnen nach der Eroberung der Insel das meiste Land genommen hatten. Aber in den 40er-Jahren breitete sich eine Krankheit der Kartoffelstauden aus und vernichtete die Ernten, zwei, drei Jahre hintereinander, und für die Iren sah es düster aus. Viele verhungerten. Aber die Radikalen wollten das nicht hinnehmen und riefen einen Notstand aus und mobilisierten die Nation. Lord Byron hielt eine feine Rede, die in allen Zeitungen abgedruckt wurde … Ich heuerte auf einem der Schiffe an, die von Bristol Hilfslieferungen nach Irland brachten. Tag und Nacht luden wir große Fässer und Kisten mit Ladepapieren von den Londoner Maschinen, und bei Tag und Nacht kamen Züge aus ganz England, mit allen Arten von Lebensmitteln. »Gott segne Lord Babbage«, riefen die armen Iren, »ein dreifaches Hoch auf England und die Radikalen Lords.« Sie haben ein langes Gedächtnis, unsere treuen Iren … Sie vergessen eine Freundlichkeit nie.

John Keats in der Half Moon Street
    Ich wurde von einem Diener in Mr. Oliphants Arbeitszimmer geführt. Mr. Oliphant begrüßte mich freundlich und bemerkte, dass mein Telegramm eine Verbindung mit Dr. Mallory erwähnt habe. Ich erzählte Mr. Oliphant, dass ich das Vergnügen hatte, Dr. Mallorys viel beachtete Vorträge über den Brontosaurus mit einem fortgeschrittenen kinotropischen Programm zu begleiten. Die Monatsrundschau der Gesellschaft für Dampfintellekt hatte eine sehr erfreuliche Besprechung meiner Bemühungen veröffentlicht, und ich bot Mr. Oliphant ein Exemplar der Schrift an. Er warf einen Blick hinein, doch hatte ich den Eindruck, dass seine Kenntnis von den Feinheiten des Lochens bestenfalls die eines Amateurs waren, denn seine Reaktion war höfliche Verwunderung.
    Ich informierte ihn dann, dass Dr. Mallory mich zu ihm geführt hatte. In einem unserer persönlichen Gespräche hatte der große Gelehrte mir von Mr. Oliphants gewagtem Vorschlag erzählt, die Maschinen der Polizei für die wissenschaftliche Erforschung der bislang unbekannten Verhaltensmuster der städtischen Bevölkerung einzusetzen. Meine Bewunderung dieses kühnen Planes hatte mich direkt zu Mr. Oliphant geführt, und ich erklärte ihm meine Bereitschaft, ihn bei der Verwirklichung dieser Vision zu unterstützen.
    An dieser Stelle unterbrach er mich mit allen Zeichen der Beunruhigung. Wir sind gezählt, erklärte er, jeder von uns, von einem alles sehenden Auge; auch unsere Minuten sind gezählt, und jedes Haar auf unseren Köpfen. Und sicherlich war es Gottes Wille, dass die rechnerischen Fähigkeiten der Maschinen auf die große Allgemeinheit angewendet würden, auf die Verkehrsströme, auf den Handel, auf die Gezeitenbewegungen von Menschenmengen – kurzum, auf das ganze unendlich vielschichtige Gewebe Seines Schöpfungswerkes.
    Ich wartete auf eine abschließende Bemerkung zu diesem ungewöhnlichen Ausbruch, aber Mr. Oliphant schien plötzlich in Gedanken versunken.
    Ich erläuterte ihm daraufhin so verständlich, wie es mit den Begriffen eines Laien möglich ist,
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