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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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lagen, hoffte sie, Guillaume würde sie wieder in eine fremde, aufregende Welt entführen, damit der hilflos zappelnde Körper von Adèle für eine Weile aus ihrer Erinnerung verschwand. Sie wollte Geschichten über Ritter und Feen hören, über jene schöne Gemahlin des König Artus, die sich in Lancelot verliebte, oder auch eine Beschreibung der prächtigen Bauten, wo der Ziehvater einst gesungen hatte und mit seinen Tieren aufgetreten war. Doch diesmal wurde sie enttäuscht.
    »Der Pfarrer hat mit mir gesprochen«, meinte Guillaume nur, nachdem er den ersten Schluck getan hatte.

    »Worüber denn?«
    »Über dich.« Guillaume schnitt sich eine Scheibe Brot ab, an der er bedächtig kaute. »Er macht sich Sorgen um dich.«
    Marie fühlte ein Kribbeln in ihren Eingeweiden. Sie wusste, dass der Pfarrer sie nicht mochte, seitdem sie einmal bei einem Dorffest leichtfertig erzählt hatte, sie würde im Lesen, Schreiben und auch in Latein unterrichtet. Danach hatte er sie bei der Beichte immer wieder gefragt, ob sie sich keiner weiteren Sünden bewusst sei denn gelegentlicher Aufsässigkeit gegenüber ihrem Ziehvater.
    »Der Pfarrer findet uns beide eigenartig«, wandte sie ein. »Das ist schon so gewesen, seit ich denken kann. Wir gehören nicht wirklich hierher. Die meisten Menschen leben in Huguet, weil schon ihre Eltern und Großeltern es taten. Aber du bist erst mit meiner Mutter hierhergekommen, hast ein verlassenes Haus bezogen, arbeitest nicht auf den Feldern und zahlst keine Abgaben an den Landesherrn. Stattdessen bringt uns ein unbekannter Mann regelmäßig Geld. Die Leute verstehen nicht, warum dem so ist.«
    Sie sprach nicht aus, dass sie selbst es ebenso wenig verstand. Angeblich hatte Guillaume einst eine schwangere Witwe kennengelernt und geheiratet, war mit ihr nach Huguet gezogen, wo ein Kind zur Welt kam und die geliebte Ehefrau leider schon nach wenigen Monaten starb. Im Dorf wurde ihrer Mutter manchmal eine anrüchige Vergangenheit unterstellt, doch Marie verdrängte dies aus ihrem Bewusstsein. Regelmäßig traf ein vornehm gekleideter Herr ein, der ihrem Ziehvater einen Beutel mit Münzen überreichte, sodass sie weitere Monate überleben konnten. Guillaumes Einnahmen bei seinen gelegentlichen Auftritten auf dem Marktplatz hätten niemals gereicht, ihre Mägen zu füllen, geschweige denn die Magd zu bezahlen. Der feine Herr war angeblich ein Verwandter ihres Vaters. Aber er sprach
niemals mit Marie, schenkte ihr keinerlei Beachtung, sondern konnte es kaum erwarten, der ärmlichen Umgebung wieder zu entkommen.
    »Ich weiß, dass wir dem Pfaffen ein Dorn im Auge sind.« Guillaume winkte ab, schnitt sich etwas Käse zurecht und reichte Marie ein Stück davon. »Darum geht es jetzt nicht. Er wollte wissen, welches Leben ich mir für dich vorstelle. Ein Mädchen wie eine Gelehrte auszubilden, das scheint ihm unangemessen, geradezu gefährlich. Gott, was für ein beschränkter Haufen deine Diener auf dieser Welt doch sind! Abélard, der wollte ihnen den Kopf zurechtrücken, aber sie haben ihn mundtot gemacht.«
    »Was gefällt dem Pfarrer denn nicht an meiner Ausbildung?«, warf Marie ein, um Guillaume von seinem Lieblingsthema abzulenken. Sie hatte schon zu oft gehört, welch kluge Reden dieser Abélard in Paris geführt hatte und wie übel ihm mitgespielt worden war. Nach Adèles Hinrichtung hatte sie für heute genug von der Ungerechtigkeit dieser Welt.
    »Na ja, es gefällt ihm nicht, dass du schlauer werden könntest als er, denn sein Latein ist miserabel, das merke ich bei jeder Messe«, erwiderte Guillaume und kicherte. Dann fuhr er etwas ernsthafter fort. »Er fragte mich, wie ich mir dein zukünftiges Leben vorstelle. Eine Frau, die sogar lateinisch schreiben kann, aber beim Kochen und Backen lustlos dreinblickt, die will kein Bauerntölpel heiraten.«
    Marie fühlte einen Stich im Herzen, doch sie tröstete sich damit, dass Pierre sie mochte, so wie sie war.
    »Ich habe bisher niemanden angefleht, mich zur Frau zu nehmen«, entgegnete sie bissig.
    Guillaume nickte.
    »Nein, warum solltest du auch? Trotzdem, ich habe dich in meinem Geist erzogen, aber niemals überlegt, was später
aus dir werden soll. Jetzt frage ich mich manchmal, ob das nicht sehr selbstsüchtig von mir war.«
    Marie fuhr zusammen. Guillaume war der Mittelpunkt ihres bisherigen Daseins, kein Felsen, eher ein dünner Ast, aber sie hatte sich immer an ihn klammern können, wenn sie sich verloren fühlte. Sie wollte nicht, dass er
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