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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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sich ihretwegen Vorwürfe machte, vor allem, wenn diese völlig unnötig waren.
    »Ich bin sehr froh, dass du mir Dinge beibringst, an denen ich Freude habe«, erwiderte sie heftig. »Und eines Tages, da ziehe ich durch die Welt, so wie du es einst getan hast. Ich werde schöne, aufregende Geschichten erzählen. Das kann ich bereits recht gut. Die jungen Leute im Dorf, sie hören mir gern zu.«
    Zufrieden, diese Schwierigkeiten vom Tisch gefegt zu haben, biss sie in den Käse. Morgen würde Agnès wiederkommen, und sie freute sich bereits auf gekochtes Essen, das wohlige Wärme in ihrem Bauch verbreiten konnte.
    Guillaume schenkte sich nachdenklich einen weiteren Becher Wein ein.
    »Marie, nur Männer ziehen als Spielleute durch die Welt. Frauen haben ein Zuhause. Nur Äbtissinnen wie Abélards Héloise verbringen ihre Zeit mit dem Studium von Büchern. Aber wie soll eine Nonne aus dir werden? Ich habe dir zu viel von meinem Denken vermittelt. Die Zeit im Kloster, ich habe sie gehasst.«
    Auch diese Geschichte hatte Marie mehrfach gehört. Guillaume stammte aus Nantes in der Bretagne. Als kleiner Junge war er in ein Kloster gegeben worden, doch es hatte ihm nicht gefallen, sich an die Regeln des Gehorsams zu halten. Wie ein störrischer Esel bäumte er sich jedes Mal auf, wenn jemand versuchte, ihm Zaumzeug anzulegen. Er war geflohen, hatte sich einem Spielmann angeschlossen und
verbrachte dann viele Jahre damit, durch die Welt zu ziehen, um sich als Sänger, Gaukler und Geschichtenerzähler durchzuschlagen. Die Zeit im Kloster, wo er das Lesen, Schreiben und etwas Latein gelernt hatte, war bei dieser Laufbahn durchaus hilfreich gewesen, auch wenn er es ungern zugab. Zwar studierte er im Kloster hauptsächlich die Bibel und Heiligenlegenden, doch als er später die Gelegenheit bekam, die Liebesgeschichten Ovids, Vergils Gedichte und auch weitere, weniger gottgefällige Texte in den Händen zu halten, war er in der Lage gewesen, sie zu entziffern und zu begreifen. Wer selbst Geschichten erfand, meinte Guillaume immer wieder, sollte erst einmal lernen, wie sie geschickt aufgebaut wurden.
    »Ich will auch keine Nonne werden«, erwiderte Marie nun. »Ich sagte doch bereits, wie ich mir mein Leben vorstelle. Glaube mir, ich finde schon einen Weg. Und jetzt erzähle mir, wie es weiterging mit diesem Fürsten, der sich regelmäßig in einen Werwolf verwandelte.«
    Sie nippte an dem Wein, den sie sich selbst eingeschenkt hatte, dann füllte sie Guillaumes Becher erneut. Sie wollte ihn zum Reden bringen. Vor drei Tagen hatte sie angefangen, Pierre und seinen Freunden die Geschichte über den Bisclavret zu erzählen, einen Mann, der nachts manchmal die Gestalt eines Wolfes annahm, doch war ihr immer noch nicht klar, wie diese ungeheuerliche Begebenheit ausgehen sollte. Zwar widerstrebte es ihr, Guillaumes Fassung sklavisch nachzuahmen, aber sie konnte Anregungen aus ihr ziehen.
    »Na, wie sollte es schon weitergehen?«, erwiderte Guillaume ohne große Begeisterung. »Der Bösewicht wurde überführt, vom König zum Tode verurteilt, und seine arme Witwe fand einen anderen Mann, der sich ihrer annahm.«
    Marie verzog das Gesicht.

    »Das klingt fad«, sagte sie. »Fast wie eine Predigt des Pfarrers. Gewöhnlich geht es in deinen Erzählungen aufregender zu.«
    Guillaume leerte seinen zweiten Becher mit erstaunlicher Geschwindigkeit, um ihn dann heftig auf den Tisch zu knallen.
    »Auch darüber hat der Pfarrer mit mir gesprochen. Diese Dinge, die du dir ausdenkst, um die Dorfkinder zu unterhalten.«
    »Was gefällt ihm daran nicht?«, fragte Marie, ohne es wirklich wissen zu wollen.
    Guillaume holte tief Luft.
    »So ziemlich alles, fürchte ich. Marie, du lässt deine Vorstellungskraft galoppieren, ohne an die Folgen zu denken. Dein Werwolf klang wie ein netter Mann mit einer absonderlichen Eigenart.«
    »Vielleicht war er das auch!«, entgegnete sie sogleich.
    Auf einmal erhob Guillaume seine Stimme. In diesen Momenten war Marie besonders dankbar, dass sie nicht mitten im Dorf wohnten.
    »Den Werwolf gab es nicht. Ich habe jedenfalls noch keinen solchen Mann getroffen. Wer Leuten Geschichten erzählt, muss sie so gestalten, dass sie gefallen.«
    »Den Kindern im Dorf gefiel meine Geschichte. Sie brennen darauf, das Ende zu hören. All das habe ich von dir gelernt, warum rügst du mich jetzt dafür?«
    Guillaume senkte den Kopf, dieser Vorwurf schien ihn getroffen zu haben.
    »Ich bin ein alter Mann«, lenkte er ein. »Mein Leben
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