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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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sah sie niemals wieder, doch sein Vater schickte regelmäßig einen Boten, um unseren Lebensunterhalt zu sichern.«
    Marie legte ihren Arm um Guillaumes Schultern und half ihm, sich aufzurichten.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie. »Ein Mönch war hier, um dich zu versorgen. Soll ich ihn noch einmal holen lassen?«
    »Herrgott noch mal, nein! Verschone mich mit irgendwelchen frömmelnden Quacksalbern, die mich zu Tode pflegen!«
    Marie lächelte erleichtert, denn das klang ganz nach dem Guillaume, den sie kannte.
    »Na gut, dann versorge ich dich eben selbst. Hast du noch Hunger?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Mir ist nur etwas schwindelig, aber das wird schon wieder.«
    Marie hatte plötzlich den Wunsch, singend und tanzend durch das Haus zu springen. Sie betrachtete Abélard, der glücklich die Hände seines Herrn leckte. Dann öffnete sie die Tür, um Cleopatra hereinflattern zu lassen.
    »Ruh dich aus, Guillaume. Meine Fragen haben dich sicher angestrengt. Ich räume inzwischen etwas auf, dann komme ich gleich wieder«, rief sie beschwingt und wollte hinauseilen, doch Guillaumes Finger krallten sich in den Ärmel ihres Gewands.
    »Vergiss nicht, was ich gesagt habe. Falls ich sterbe, dann heirate Pierre. Sollten die Verwandten deines Vaters dich rufen, dann gehe nicht zu ihnen, hörst du. Die edlen Herrschaften haben schon deiner Mutter nichts als Kummer bereitet.«
    Marie schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Aber warum sollten sie mich denn plötzlich rufen, wenn ich ihnen all die Jahre unwichtig war? Ich bleibe bei dir, bis ich in der Lage bin, mich selbst mit meinen Geschichten durchzuschlagen.«
    Sie sah Guillaume nachsichtig lächeln.
    »Marie, bist du denn taub? Nur Männer können als Sänger oder Gaukler herumziehen, sage ich die ganze Zeit. Und deine Stimme, so leid es mir tut, klingt nicht besonders schön.«

    Marie schoss es sogleich durch den Kopf, dass sie sich in diesem Fall eben einen geeigneten Sänger suchen müsste, doch sie bezwang erfolgreich den Drang, wie gewohnt zu widersprechen. In Zukunft würde sie weniger aufsässig und streitlustig sein, hatte sie sich vorgenommen. Ein gutes Mädchen werden, so wie der Pfarrer es von ihr verlangte. Den großen Raum, wo noch die Weinbecher von gestern Abend standen, in Ordnung zu bringen, wäre ihr erster Schritt in diese Richtung. Entschlossen wollte sie hinauseilen, doch ein lautes Schreien hielt sie zurück.
    »Marie, mein Kopf, es … es tut so weh …«
    Sie fuhr herum und sah, wie Guillaume seine Hände gegen die Schläfen presste. Dann fiel er wie ein Stein auf die Strohmatte. Erschrocken eilte sie zu ihm und strich sanft über sein Gesicht. Speichel tropfte aus dem halb geöffneten Mund. Er regte sich nicht mehr und sagte kein Wort, obwohl Marie immer lauter seinen Namen rief. Als ihre Stimme heiser zu werden begann und ihre Kehle schmerzte, sank sie erschöpft auf seine Brust. Sie hörte keinen Herzschlag mehr.

3. Kapitel
    W ieder war Marie im Schloss der schönen Dame, die auf einem Thron aus schimmernden Edelsteinen saß und versonnen das Fell eines großen Löwen streichelte, der ihr zu Füßen lag.
    »Ich bitte Euch, edle Frau, helft Guillaume«, sagte Marie und staunte, wie gefasst ihre Stimme klang. »Ich weiß, allein Eure Hände können die Toten zum Leben erwecken.«
    Die Dame musterte sie nachdenklich, nahm einen Schluck aus ihrem durchscheinenden Becher, dann holte sie Luft.
    »Du hast großes Vertrauen in meine Fähigkeiten, kleine Marie. Verrate mir, wie kommst du darauf?«
    Marie wurde schwindelig, als sie nach den richtigen Worten suchte. Wer in solcher Pracht lebte, musste von Gott gesegnet und zudem begabter sein als andere, gewöhnliche Menschen. Als sie ebendies sagen wollte, begann die Gestalt der Dame plötzlich hinter einem grauen Nebel zu verschwinden. Die Umrisse des Raums verblassten und wurden zu einem schlichten Braun. Marie fröstelte, und sie drängte sich an den weichen, warmen, haarigen Körper, den sie an ihrer Seite spürte. Als etwas ihr Gesicht leckte, öffnete sie die Augen und umarmte Abélard.
    In dem kleinen Raum stand ein Tisch mit einem Krug und einer Kerze darauf. Zu ihren Füßen entdeckte Marie einen Eimer Wasser. Die Umgebung ähnelte ihrem Zuhause, doch wirkte hier alles geordneter und sauberer, als sie es gewohnt
war. Cleopatras Krächzen drang an ihr Ohr. Sie blickte auf und stellte mit Entsetzen fest, dass der grüne Vogel nun in einem kleinen Metallkäfig saß, ebenjenem Gefängnis, das
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