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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien
Autoren: Tereza Vanek
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Fleisch und Brot. Agnès war nicht erschienen, was Marie erleichterte, denn es war kein Geld mehr im Haus, um ihre Dienste zu bezahlen. Obwohl das Kochen ihr keine besondere Freude bereitete, hatte Marie der Magd manchmal geholfen und sich einiges eingeprägt. Sie warf Fleisch und Gemüse in den großen Kessel über der Feuerstelle, schüttete Wasser hinzu, um eine Brühe zuzubereiten. Dann streute sie Salz und ein paar getrocknete Kräuter darüber, bevor sie den Inhalt in zwei Holzschalen verteilte. Damit ging sie in Guillaumes Kammer zurück. Vielleicht konnte der Geruch von Essen ihn aus seiner Bewusstlosigkeit erwecken.
    Sie stellte eine der Schalen neben ihm ab und begann aus ihrer eigenen zu löffeln. Bald breitete sich wohltuende Wärme in ihrem Körper aus. Guillaume regte sich weiterhin nicht, doch meinte sie, seine Atemzüge seien ein wenig lauter geworden.
    »Du hast mir nie viel erzählt«, begann Marie zu reden. Sie wollte es nicht hinnehmen, dass Guillaume zwar neben ihr lag, aber nicht mehr Teil ihrer Welt war. Der Klang ihrer eigenen Stimme erleichterte sie, denn sie kam sich weniger einsam vor. »Ich weiß nur, dass meine Mutter Jeanne hieß. So wie der Affe, der angeblich nach ihr benannt wurde. Dass sie sehr schön war und bereits einige Monate nach meiner Geburt verstarb. Aber woher stammte sie? Und wie war der
Name meines Vaters? Warum tuscheln die Leute im Dorf, wenn sie uns sehen? In den letzten Jahren hatte ich oft den Wunsch, danach zu fragen, aber ich wagte es nicht, denn mir schien, es sei dir unangenehm. So beschloss ich immer wieder, auf den richtigen Augenblick zu warten. Aber was ist, wenn er nun nicht mehr kommt? Ich möchte wissen, wer ich wirklich bin, Guillaume.«
    Als nur Stille ihr antwortete, löffelte sie die Brühe zu Ende. Danach streichelte sie versonnen Guillaumes Arm, der ebenfalls verbunden war.
    »Wenn du mich verlässt, was wird dann aus mir? Ich weiß nicht, wo ich diesen Verwandten meines Vaters finden kann. Bis er wieder zu uns kommt, werden noch Monate vergehen. Soll ich hier ganz alleine leben? Ich habe Angst.«
    Sie erinnerte sich, wie völlig überzeugt von ihren eigenen Talenten sie tags zuvor noch gewesen war. Jetzt schien die Vorstellung, sich selbst als Geschichtenerzählerin durchzuschlagen, nur noch der dümmliche Traum eines unreifen Mädchens, als hätte allein die Gegenwart ihres verrückten Ziehvaters ihr die Kraft geben können, an sich selbst zu glauben. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und Marie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie wünschte sich, in jenes ewige Vergessen sinken zu können, das auch Guillaume befallen hatte.
    »Heirate«, drang plötzlich ein heiseres Krächzen an ihr Ohr. »Heirate Pierre. Er liebt dich und wird gut zu dir sein.«
    Marie nahm die Finger von ihren feuchten Augen. Guillaume sah sie nun an. Seine Lider flackerten, und er zuckte in dem erfolglosen Versuch, sich aufzurichten.
    »Dein Vater ist vor vier Jahren gestorben, Marie. Ich weiß nicht, wie lange noch Geld kommen wird. Deine Mutter, sie …«

    Ein böser Husten schüttelte Guillaume, bevor er weitersprechen konnte.
    »Deine Mutter war eine Küchenmagd. Sie gefiel ihm. Er behandelte sie besser, als viele Männer seines Standes es getan hätten, warb um sie und machte Liebeserklärungen. Sie waren beide noch sehr jung, gerade einmal vierzehn. Er schenkte ihr ein schönes Gewand, in dem sie aussah wie eine Dame und wünschte, dass sie bei den Mahlzeiten an seiner Seite saß. Deinem Großvater wurde diese Buhlschaft seines Sohnes zu innig. Er schickte ihn fort und wies deine Mutter aus der Burg, versprach ihr jedoch einen Ehemann, bei dem sie ein gutes Leben hätte, wenn sie seinen Sohn in Zukunft in Frieden ließ. Aber sie war so verrückt, mich zu wählen. Weil ich sie zum Lachen bringen konnte, wenn sie traurig war.«
    Marie hörte, wie der Herzschlag ihr in den Ohren dröhnte. Hoffnungsvoll hielt sie Guillaume die Brühe hin, und als er nicht in der Lage war, die Schüssel festzuhalten, flößte sie ihm vorsichtig einen Löffel nach dem anderen ein. Er schluckte, auch wenn ein Teil der Flüssigkeit über sein Kinn rann. Danach wurde sein Atem ruhiger, und seine Stimme klang klar.
    »Jeanne wollte nicht in den Ländereien des Vaters ihres Geliebten leben, und ich schlug vor, dass wir nach Paris gehen könnten. In der Stadt sind die Menschen freier. Aber ihr gefiel dieses gottverlassene Dorf. Es erinnerte sie an ihren Heimatort. Ihren jungen Geliebten
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