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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin
Autoren: Beate Sauer
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jedoch abrupt ab, als sei es gewaltsam beendet worden.
    »Dasselbe gilt für die Ketzerin Donata und ihren Gefährten. Auch die Taten dieser Gottlosen können nur mit dem Scheiterhaufen gesühnt werden. Diese Urteile sollen morgen vollstreckt werden!«
    »Ja, ja, ins Feuer mit ihnen!« Das Geschrei des Volkes, ein wütendes Heulen, brandete über den Platz. »Tod den Gottlosen!«
    Eine Frist von einem Tag, die aber keineswegs eine Gnade war. Der Himmel allein wusste, was Enzio ihnen vor ihrem Tod alles antun würde.
    Donata, dachte Roger. Die anderen Menschen, die unschuldig sterben mussten. Und das Reich, das in Chaos versinken würde, wenn es Enzio gelang, seine Pläne weiter zu verfolgen … Noch einmal bäumte sich Roger auf, sofort traf ihn jedoch wieder ein derber Hieb am Kopf und sein Gesicht wurde auf den Boden gepresst. Roter Nebel breitete sich vor seinen Augen aus.
    Als seine Sinne wieder etwas klarer wurden, war Enzios Stimme verstummt. Stille lastete über dem weiten Platz. Roger erwartete, dass die Soldaten Donata und ihn und die anderen Verurteilten nun wegschleppen würden, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen nahm er ein leises Gemurmel aus den Reihen des Volkes wahr. Anders als zuvor. Nicht gereizt und wütend, sondern wie überrascht und von einer unterschwelligen Furcht erfüllt. Ein einzelner Satz drang an sein Ohr.
    »Wie ist das möglich …«
    Die Männer, die Roger am Boden hielten, lockerten ihren Griff ein wenig. Es gelang ihm, sich so weit aufzurichten, dass er über das Podium blicken konnte. Enzio hatte seinen Platz neben der Bahre nicht verlassen. Seine Hand ruhte noch immer auf dem nachtblauen Tuch, das den Leichnam bedeckte. Die Hand war blutverschmiert.
    Das Gemurmel des Volkes wurde stärker.
    Plötzlich schrie jemand laut: »Blut! An der Hand des Kardinals klebt Blut!«
    »Ja, es stimmt! Sie ist blutig!«, fielen andere Stimmen ein.
    Enzio starrte in die Menge, dann auf seine Hand. Er begriff. Einen Augenblick lang, aber für alle sichtbar, spiegelte sein Gesicht Entsetzen und er wich von der Bahre zurück.
    Die Menge rückte von dem Podium weg. Ein lähmendes Schweigen senkte sich über den Platz.
    Die klare Stimme der Äbtissin durchschnitt die Stille wie ein Degenhieb. »Dies ist ein Gottesbeweis!«, rief sie. »Das Blut des Toten ist über den Mörder gekommen. Gott hat den wahren Täter offenbart!«
    Langsam, als sei er in einem schlimmen Traum gefangen, näherte sich der Dominikaner Bérard der Bahre. Mit entgeistert aufgerissenen Augen schaute er von dem Blutfleck, der sich auf dem nachtblauen Samt abzeichnete, zu Enzios Hand. Ein Schauder durchlief ihn. »Ja, dies ist ein Zeichen des Himmels«, bekräftigte er mit einer Stimme, die einem Stöhnen glich. »Gott hat uns Gisberts Mörder gezeigt.« Er bekreuzigte sich und sank in die Knie.
    Enzio, der immer noch ein paar Schritte von der Bahre entfernt stand, registrierte, wie sich Heinrich von Müllenark ungelenk von seinem Sitz erhob und es dem Dominikaner gleichtat. Wie die beiden Bürgermeister, die Adeligen und Prälaten der Stadt unten, vor dem Podium, ebenfalls niederknieten und das Kreuzzeichen schlugen und wie sich der religiöse Schauder mehr und mehr über den ganzen Platz ausbreitete. Bis all die Menschen, die vorhin jedes seiner Worte geglaubt hatten und bereit gewesen waren, seine Gegner ohne Gnade ins Feuer zu schicken, im matschigen Schnee Gott die Ehre erwiesen. Die Gesichter gezeichnet von frommem Entsetzen. Selbst die Soldaten des Königs und des Erzbischofs wichen vor ihm zurück.
    Der Blick des Kardinals wanderte zu dem strahlend blauen Himmel. Die weißliche Scheibe der Sonne, sein Siegeszeichen – sie hatte den Zenit überschritten. Es war ihm nicht gelungen, das Schicksalsrad auf dem höchsten Punkt anzuhalten. Unaufhaltsam würde es sinken. In einem einzigen Moment, so kurz wie ein Lidschlag, hatte er alles, worauf er jahrelang hingearbeitet hatte, verloren.
    Versonnen und von kaltem Spott erfüllt, warf Enzio einen letzten Blick auf den Leichnam des Inquisitors. Hatte nicht Gisbert, damals, als er in der abgelegenen Kapelle tödlich getroffen zu Boden fiel, geschrien: Mein Blut wird über Euch kommen?
    »Gisbert, ich habe dich unterschätzt«, sagte er leise. »Du hast gewonnen. Wenn es dir auch ganz und gar nicht gefallen dürfte, dass du deinen Sieg ausgerechnet einer Frau verdankst, die du nur zu gern auf den Scheiterhaufen gebracht hättest.«
    Lohnte es sich, dass er sich an ihr und
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