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Die Braut des Ritters

Titel: Die Braut des Ritters
Autoren: Lynsay Sands
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biegen, und somit vermochte Warin sie sich nicht über die Schulter zu werfen. Sie fürchtete schon, die Treppe doch allein bewältigen zu müssen, als ihr Bruder vor ihr in die Hocke ging, ihr die Arme um die Oberschenkel schlang und sich ächzend aufrichtete.
    Avelyn stieß etwas aus, das ein Schrei hätte sein sollen, aber mehr wie ein Fiepen klang. Sie umklammerte Kopf und Schultern ihres Bruders. „Was ...?“
    „Still, Avelyn“, stieß Warin hervor. „Das hier ist verzwickt genug.“
    Gehorsam schwieg sie. Hätte sie nicht so verzweifelt nach Luft ringen müssen, hätte sie gewiss den Atem angehalten. So jedoch beschränkte sie sich darauf, den gesamten Weg die Stufen hinab zu beten. Sie hätte weinen mögen vor Erleichterung, als sie endlich die große Halle erreichten. Warin trug sie hinaus ins Freie, und ihre Mutter und die beiden Mägde folgten. Als sie das Pferd erreichten, zögerte er. „Wie soll ich sie nur in den Sattel hieven? Dafür müsste sie einigermaßen biegsam sein.“ Betroffenes Schweigen machte sich breit, ehe ihre Mutter vortrat. „Lass sie herunter, Warin. Dann gib mir dein Messer und wende dich kurz ab.“
    „Was soll...?“, begann Avelyn ängstlich, als Warin sie absetzte.
    „Dreh dich um, Liebes“, befahl ihre Mutter und machte sich an der Schnürung in Avelyns Rücken zu schaffen. „Wir werden den unteren Teil des Leinentuchs auftrennen, gerade so weit, dass du aufs Pferd steigen kannst.“ „Aber ... “ Der Einwand erstarb ihr in der Kehle, als sie spürte, wie die Enge um ihren Leib in Hüfthöhe ein wenig nachließ. Es war nicht viel und so tief unten, dass ihr das Atmen nicht leichter wurde, fühlte sich aber dennoch himmlisch an. Gott, wie wundervoll es sein würde, wenn das Tuch erst wieder fort wäre, dachte sie sehnsüchtig.

2. Kapitel
    Du liebe Güte, das Tuch um ihre Taille riss! Zunächst merkte Avelyn es nicht. Sie spürte lediglich, dass ihr Unwohlsein nachließ, als sie den halben Weg bis zur Kapelle bewältigt hatten. Sie wären längst da und hätten die halbe Zeremonie hinter sich gebracht, wenn ihre Mutter nicht auf die glorreiche Idee gekommen wäre, dass sie selbst, Gunnora und Runilda mit je einem Korb vor dem Pferd herlaufen und Blumen streuen könnten. Ihre Mutter hatte dies höchst romantisch gefunden und kostbare Zeit darauf verwandt, ihren Garten der schönsten Blüten zu berauben.
    Auch Avelyn hatte dies zunächst reizvoll gefunden. Nun aber, da die Enge um ihre Taille noch ein wenig schwand und sich der Schnitt, den ihre Mutter unten am Tuch angebracht hatte, immer höher zog, ging ihr auf, dass es der schlimmste Einfall überhaupt gewesen war.
    „Was ist denn? Du bist ja stockstarr“, meinte Warin, als Avelyn sich vor ihm im Sattel versteifte. Sie hatte ohnehin schon recht hölzern dagesessen, während sie den Burghof querten, doch nun drückte sie den Rücken so weit durch, wie sie konnte. Und hatte sie bislang flach geatmet, hielt sie jetzt die Luft an, während sie verzweifelt versuchte, sich so dünn wie möglich zu machen - allein damit der Riss nicht noch länger wurde.
    „Avy?“
    „Beeil dich“, hauchte sie.
    „Mich beeilen? Aber ...“ Warin blickte zu ihrer Mutter und den beiden Kammerfrauen vor ihnen, ehe er wieder Avelyn anschaute. Sie sah, wie seine Besorgnis zunahm.
    „Was ist mit deinem Gesicht, Avy? Es ist ja ganz rot und geschwollen.“
    Avelyn stieß die Luft aus, die sie gehalten hatte. „Scher dich nicht um mein Gesicht“, zischte sie. „Das Tuch reißt, Warin. Ich muss hinunter, sofort.“
    Zu ihrer Erleichterung fackelte er nicht lange, sondern rief ihre Mutter, erklärte das Malheur und drängte darauf, die Prozession zu beschleunigen. Ihre Mutter nickte, eilte zurück zu den Kammerfrauen und beriet sich flüsternd mit ihnen. Dann setzten die drei ihren Weg fort, schritten jedoch schneller aus als zuvor. Statt dahinzuschlendern, rannten sie nun fast und warfen die Blüten mit unbotmäßiger Hektik. Warin trieb sein Pferd an, um mitzuhalten.
    Sie hatten erst ein paar Schritte zurückgelegt, als Avelyn spürte, dass das Tuch sich merklich gelockert hatte. Sie hörte das Geräusch reißenden Stoffs. Warin hörte es auch.
    „Schneller“, rief er den Frauen leise zu. Als das Reißen erneut ertönte, zischte er: „Aus dem Weg!“
    Ihre Mutter blickte sich bestürzt um und sprang beiseite, als ihr Sohn sein Pferd antraben ließ. Die drei Frauen hasteten ihnen nach und warfen ihnen noch ein paar Blumen hinterher.
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