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Die Boten des Todes

Die Boten des Todes

Titel: Die Boten des Todes
Autoren: Hans Gruhl
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Börsenberichte. Er überschlug den umfangreichen Teil des
Stellenmarktes und drang zur letzten Seite vor.
    Er las die Heiratsannoncen. Hierbei
überfiel ihn eine gewisse Verlegenheit, als könnte ihn jemand beobachten und
ihm mit erhobenem Zeigefinger zurufen: »Adrian! Hast du das nötig?«
    Herr van Noringen fand, daß er es nötig
hätte. Man war der Jüngste nicht, aber in den Augen, so fand Herr Adrian, war
noch eine Spur des alten Feuers, und sie erweckte Vertrauen. Das war es, was
ihm in seinem Beruf zu dauerhaftem Erfolg verholfen hatte.
    Da war etwas: fünfunddreißig, schuldlos
geschieden. Ein vierzehnjähriges Kind, ein Mädchen. Hm. Nicht lange, und sie
würde siebzehn sein und Verehrer anbringen und Erbschleicher. Herr Adrian
schüttelte sich bei diesem Gedanken. Er trank rasch einen Schluck Kaffee. Nein.
Außerdem schien die Dame nicht gerade unter dem Gewicht ihres Vermögens
zusammenzubrechen. Adrian verließ sie ohne Umschweife und las weiter.
Allmählich wich die Verlegenheit von ihm, und die Zuversicht wuchs. Er war in
keiner schlechten Gesellschaft. Sonderbar kam ihm nur vor, daß all diese
Akademiker, Selbständigen, Beamten und Fabrikanten mit Vermögen und restlos
gesichert, dabei gut aussehend und voller Lebenskraft nicht zu passenden
Bekanntschaften gekommen sein sollten. Nur an der Arbeitsüberlastung konnte es
kaum liegen. Nein, dachte Adrian, irgendein verdammter Haken ist überall dabei.
Wie bei mir.
    Er wandte sich wieder den Damen zu. Bei
dem Angebot eines herzlieben Weibchens, naturverbunden und musisch,
achtundvierzig und ohne Vermögen, aber von wahrer, seltener Herzensgüte,
verweilte er nicht lange. Dagegen fesselte ihn die folgende Anzeige um so mehr.
Seine Lider verengten sich. Die Zeitung in seiner Hand begann zu zittern, der
Kaffee wurde kalt. Das war etwas, dachte Herr van Noringen.
    Das ist es.
     
    Ada war etwas nervös.
    Sie fürchtete, daß die zehn Monate
ihrer Witwenschaft ihre Konkurrenzfähigkeit beeinträchtigt hätten. Vielleicht
war sie ungeschickt, nicht mehr up to date, und vielleicht war es auch nicht
richtig, schon jetzt, zehn Monate nach Edgars Tod, nach einem neuen Lebensgefährten
Ausschau zu halten. Ihr Blick fiel auf Edgars Bild. Ada wußte wohl, aus welchen
Gründen es geschehen war. Dennoch empfand sie es als rücksichtslos — allein und
des Ernährers beraubt blieb man zurück.
    Die große Wohnung war still wie eine
Friedhofskapelle, und außerdem kostete sie jeden Monat beklagenswert viel
Miete. Gewiß, Edgar hatte genügend hinterlassen und ein mustergültiges
Testament abgefaßt, bevor er so plötzlich unter die Marmorplatte auf dem
Zentralfriedhof gelangt war. Aber es wäre Ada, verwitwete Jokaster, doch lieber
gewesen, wenn sich ein verläßlicher Mann der laufenden Ausgaben angenommen und
überdies dafür gesorgt hätte, daß ihr Privatkonto bei Benson, Benson und Co.
jenes gesunde Wachstum aufweisen würde, mit dem es zu Edgars Lebzeiten gesegnet
war. Ada hatte das knappe Trauerjahr zur Hauptsache dazu benutzt, über ihre
Lage nachzudenken.
    Die Entscheidung, noch einmal zu
heiraten oder nicht, war schwer, fast zu schwer für eine alleinstehende Frau
von zweiundfünfzig Jahren.
    Frau Jokaster hatte nach langem Ringen
ihren Entschluß gefaßt und war mit eigener Methodik und Energie vorgegangen.
Zunächst hatte sie sich am Zeitungswissenschaftlichen Institut der Universität
nach der seriösesten Zeitung erkundigt, die auf den Markt gelangte. Der Entwurf
einer Heiratsannonce war ihr nicht sehr schwer gefallen; aber es mußte doch
manches bedacht werden, was in diesem Falle von Wichtigkeit war.
    Sie hatte wohlweislich nur einen Teil
ihres Vermögens angegeben, aber dennoch genügend, um Zuschriften erhoffen zu
können.
    Wegen ihrer Erscheinung hatte sie
weniger Sorge. Ein halbes Jahrhundert war ein halbes Jahrhundert. Ihr
Spiegelbild machte ihr dennoch Freude. Bis zur Stunde hatte sie die Fähigkeit
bewahrt, verlegen und spitzbübisch aussehen zu können wie ein Schulmädchen. Die
sanfte Heiterkeit, mit der das Geschick sie bedacht hatte, war in der Annonce hervorgehoben
worden, desgleichen ihr Hang zur Fröhlichkeit und das Verständnis für männliche
Schwächen.
    An der Zuschrift des Herrn Adrian van
Noringen hatte sie besonders erfreut, daß er hierauf und auf ihre Erscheinung
besonderen Wert zu legen schien, dagegen den Hinweis auf ihr Vermögen
vollständig ignoriert hatte. Im Gegenteil, er hatte fast beleidigt getan und
ganz behutsam
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