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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener
Autoren: Delia Sherman
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die in der richtigen Reihenfolge geplant und ausgeführt werden müssen. Zumindest war das Margarets Ansicht. Die Riten, mit denen man einen Dämon rufen und beherrschen konnte, waren schriftlich niedergelegt, sodass selbst ein Novize in der Lage war, sie zu vollführen. Aber es gab keine allgemein anerkannten Texte und keine gesicherten Anweisungen für das Durchbrechen einer Prophezeiung. Deshalb hatte Margaret ihr eigenes Ritual aus Studium und Versuch entwickelt und hoffte, mit Geduld und Logik dort Erfolg zu haben, wo Brevius und Voltar versagt hatten.
    Nachdem sich Margaret erneut sorgfältig all die Wahrsagekünste und Weissagungen aus den hieromantischen, stichomantischen, lithomantischen, catoptromantischen und pyromantischen Schriften in ihrer Bibliothek vergegenwärtigt hatte, machte sie sich an die Arbeit. Sie wählte nach dem Zufallsprinzip Abschnitte aus einem alchimistischen Text aus, den sie erst ein einziges Mal gelesen hatte. »Gestanck isst eyn Dampff«, las sie, »eyn auffgelößter Dufft / Von denen Dingen wo da seyndt von bosshafftiger complexion.« Und: »Todten Schlam nennet man solch eyn Ding / welchselbiges habet erlitten grosse Erhitzunck.«
    Sie warf eine Hand voll polierter Steine in einen kleinen, auf den Boden gemalten Kreidekreis und las die rätselhafte Botschaft, den die Kiesel innerhalb des Kreises bildeten. Chalzedon und Blutstein, Saphir und Onyx: geistige Blindheit, Leidenschaft und Sturm, Macht über Geister, schreckensvolle Träume, Tod. Sie deckte einen Stapel unrettbar fettiger Karten auf; Tod und der Fallende Turm schielten aus der Mitte zu ihr hoch. Schließlich befahl sie ihren Winden, sie sollten ihr ein jungfräuliches Schaf bringen. Sie schlachtete es in dem verwüsteten Zimmer im Erdgeschoss und runzelte angewidert die Stirn, während sie die Bauchspeicheldrüse aus dem noch zuckenden Leib riss. Das prophetische Organ färbte sich in ihren Händen von Rosa zu Grau und das Muster der Venen auf seiner schwammartigen Oberfläche erinnerte an springende Flammen.
    Margaret seufzte und schob den toten Schafskörper näher zum Herd, damit sich die jungen Füchse daran laben konnten. Wenn auch die Zeichen nicht besser waren als vor Allerheiligen, so waren sie jedoch keinesfalls schlechter. Daraus zog sie einen gewissen Trost. Margaret seufzte erneut; es war ein tiefer Atemzug, der wie die Keimzelle eines Schluchzens klang. Die Füchsin verließ ihre Jungen, setzte sich neben ihre Herrin und stieß ihr mit der Nase gegen den blutschleimigen Arm.
    »Ja, ich stinke nach Blut, mein Kleines«, sagte Margaret. »Und nach Schweiß, nach Angst und nach Wut.« Sie erhob sich und ging zur Tür des Turms, drückte den Efeu zur Seite und sah auf ihre Besitzungen hinaus. Der Regen, den sie vor drei Tagen heraufbeschworen und wieder fortzuschicken vergessen hatte, fiel gleichmäßig und hatte die wüste Lichtung in einen See aus gallertartigem Schlamm verwandelt. Der Boden hob und senkte sich, als ob darunter ein Dämon unruhig schlafe.
    »Ein wenig von diesem Überfluss an Regen soll mir als Badewasser dienen. Ich werde den Sturm herbeirufen, mich säubern und dann schlafen.« Sie runzelte die Stirn und rieb sich die sandschweren Augen. »Vielleicht wird mir die Oneiromantie eröffnen, was die anderen Wahrsagekünste mir verwehrt haben.«
    Nachdem sie schließlich die Winddämonen von ihrem dreitägigen Spiel heimgerufen und das Blut von Haut und Kleidern abgewaschen hatte, war Margaret zunächst in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Doch kurz vor Anbruch der Morgendämmerung erwachte sie schwitzend und zitternd aus einem Traum von einer goldenen Waldlichtung mit einem Hirsch in deren Mitte, der sich weiß wie Milch gegen das Gold abhob. Er schüttelte sein verzweigtes Geweih und fing in ihm eine rubinrote Sonne ein. Sie schwoll an, flackerte und versengte Margaret die Augen.

Kapitel Drei

    Im grauen Novembermorgen wuchtete Master Hardy sein Laken zur Seite. Es war so schwer, als wäre es aus Stein gewebt. Widerstrebend kroch er aus dem Bett. Seine Augen waren schwer und während er die Bänder seiner Hose fest knüpfte, gähnte er schläfrig. Das Geheimnis um das Juwel des Küchenjungen hatte ihn bis spät in die Nacht wach gehalten und beschäftigt.
    Mit welcher Aufgabe sollte er den Jungen nur betrauen? Seine gebrochenen Rippen würden es ihm nicht erlauben, den Spieß zu drehen oder das Feuer zu schüren, und etwas in Master Hardy scheute davor zurück, William Hühner rupfen
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