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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener
Autoren: Delia Sherman
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hatte sie einen weiteren geschürt. Wut am Anfang und Triumph am Ende: zwei Stürme wie Hände aus Wind, die sich um ein Insekt schlossen, und ihre Feindin – so emsig, so unwissend, so giftig wie eine Biene – war zwischen ihnen gefangen.
    Zu Mitternacht vermutete Margaret, dass die Gesetzlosen inzwischen bei dem Haus angekommen waren. Sie schloss die Fensterläden, entzündete ein Bündel Kerzen und stellte sie so auf, dass ihr Licht den verhüllten Gegenstand neben ihrem Stuhl beschien. Die Füchsin sprang auf, stellte die schwarzen Vorderpfoten auf die geschnitzten Armlehnen und stieß mit der Nase gegen den schimmernden Schleier.
    Margaret lachte und streichelte das Tier. »Langsam, langsam, mein Kleines«, sagte sie. »Wir werden uns das Schauspiel gemeinsam ansehen.« Sie nahm die Füchsin auf den Arm, setzte sich und warf den Schleier beiseite.
    Falten wie aus flüssiger Seide umringten nun den Fuß eines ovalen langen Spiegels, der in dem dunklen Raum wie Feuer leuchtete. Margaret beugte sich ihm entgegen, doch die polierte Oberfläche warf unter ihrem prüfenden Blick nichts zurück – weder die Kerzen noch die Füchsin noch ihr eigenes, scharfes Antlitz –, sondern schien sich in eine glimmende Leere zu öffnen. Dann fuhr Margaret mit der Hand darüber. Der Spiegel warf nun aus seinen Tiefen Visionen hoch – klar und still und prächtig getönt wie Illuminationen in einem Stundenbuch.
    Das erste Bild war eine Nocturne: ein kleines Steinhaus inmitten eines Waldes; seine Eichentüren erzitterten unter den Schlägen eines groben Rammbocks.
    Ein Blinken, ein goldenes Glimmern und die Szene wechselte zur großen Halle des Anwesens. Ein Rudel wölfischer Kerle stand in den aufklaffenden, zersplitterten Türen und deutete auf die Feuerstelle, vor der ein Dutzend bewaffneter Männer unbeweglich lagen.
    Die Gesetzlosen erschlugen die Bewaffneten im Schlaf; dann trotteten sie durch das Haus auf der Suche nach weiterer Beute. Gehorsam Margarets Willen folgend, zeigte der Spiegel wechselnde Bilder von der Halle, der Küche, den Ställen und dem Söller und enthüllte Raub, Vergewaltigung und Mord. Die Füchsin winselte, als sie das Blutbad beobachtete, und Margaret kniff die Lippen zusammen. Auch wenn die Winde Höllenteufel waren, so verhielten sie sich doch nicht so grob wie diese menschlichen Waffen. Aber Margaret durfte sich über ihre groben und ungeschlachten Waffen ebenso wenig beschweren wie ein Leibeigener, der mit einer Egge oder Harke kämpfen muss, weil ihm ein Schwert verwehrt ist.
    Schließlich richtete der Spiegel seinen dreisten Blick auf die Schlafkammer des Ritters. Die Läden waren gegen den Sturm geschlossen und verriegelt und der Raum war so dunkel wie eine Gruft. Trotzdem konnte Margarets Zauberblick die Stiche in den Bettbehängen zählen sowie die langsamen Atemzüge des Ritters, seiner Gemahlin und ihres kleinen Sohns, der sich in dem ausladenden Bett zwischen sie gekuschelt hatte. Eine Dienerin hatte sich auf einem Strohlager neben dem Kamin zusammengerollt und zuckte in ihren Träumen wie ein Hund.
    Die Tür flog auf und die Dunkelheit zerbrach zu Scherben aus Licht und Schatten. Sechs von Wein und Blut gerötete Räuber betraten das Zimmer; ihre Gesichter wirkten im Flackern der Fackeln wie Dämonenfratzen. Sie erledigten die Dienerin rasch und richteten dann ihre Aufmerksamkeit auf die drei Personen in dem Bett. Lachend schlitzten sie dem Ritter die Kehle auf. Sein Blut ergoss sich über das gelbe Haar seiner Gemahlin und bespritzte das Gesicht seines kleinen Sohnes. Das Kind erwachte und sein rosiger Mund öffnete sich zu einem entsetzten Heulen. Margaret lächelte.
    Die Lady fuhr durch das Schreien des Knaben aus ihrem verzauberten Schlaf hoch. Blind nahm sie das Kind in die Arme und versuchte es an ihrer Brust zu bergen. Als sich der Knabe nicht beruhigen wollte, öffnete sie die Augen; ihr Blick fiel auf das Blut, das ihr weißes Bettlinnen karmesinrot färbte. Ihre Augen weiteten sich so sehr, als wollten sie sich dem Grauen anpassen, dessen sie angesichtig wurden. Die Frau starrte zuerst auf den zweiten Mund, der in der Kehle ihres Gatten klaffte, und dann auf den Kreis der wölfischen Männer. Margaret sah ihr Keuchen; es war nicht mehr als ein kleines, plötzliches Heben der Rippen. Die Lady schloss die Arme fester um ihr Kind und sah die Mörder ihres Gemahls trotzig an.
    Der Anführer hob mit der Schwertspitze ihr glänzendes, wallendes Haar an, sodass es den Jungen nicht
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