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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener
Autoren: Delia Sherman
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fünfundzwanzig; ihr Gesicht war fein gezeichnet und spitz am Kinn; ihre Haut war faltenlos und so weiß wie frische Sahne und hob sich deutlich von dem rotgoldenen Glanz ihres offenen Haars ab. Sie saß aufrecht und unbeweglich da und hatte die Arme auf die Stuhllehnen gelegt. Nur das langsame Heben und Sinken ihres Busens deutete dem Gesetzlosen an, dass sie wirklich eine lebende Frau und nicht nur ein Marmorbild war.
    Ohne den geringsten Lidschlag sah sie den Räuber an, der sich allmählich fragte, ob er unaufgefordert einen Schritt nach vorn machen oder sich umdrehen und fliehen sollte, so lange es ihm noch möglich war.
    »Komm näher.« Unter diesem unvermuteten Befehl taumelte er einen Schritt zurück. Ein scharfer Luftzug erhob sich und zwang ihn vorwärts. Als er dem Stuhl näher kam, streckte sich die Füchsin auf dem Kissen und schnupperte voller Verachtung an seinen schlammigen Stiefeln.
    Die Lippen der Zauberin verengten sich vor Abscheu. »Tritt zurück; deine Kleider stinken nach Aas.« Dankbar zog er sich ein Stück zurück. Sie sah ihn abschätzend an, während er schwitzte und sich fragte, was sie wohl von ihm wollte. »Ich habe eine Aufgabe für dich, die deinen Fähigkeiten wohl entspricht«, sagte sie gedehnt. »Kennst du das ritterliche Anwesen, das nordöstlich von hier am Rande des Waldes liegt?«
    Der Räuber nickte und räusperte sich. »Hartwick Manor? Wahrhaft, Lady, das kenn ich wohl.«
    »Ich will, dass du deine Bande zur Nachtzeit dorthin führst – nicht morgen und auch nicht in drei Tagen, sondern in dieser Nacht, der Nacht vor Allerheiligen. Deine Aufgabe besteht darin, jede Seele innerhalb seiner Mauern zu töten, vom niedrigsten Spießjungen bis zum Ritter selbst und seinem kleinen Sohn. Nimm als Belohnung den Schild des Ritters, sein Leinen und das Gold aus seiner Truhe. Vergnüge dich mit seinen Dienerinnen, wenn es dir beliebt, aber behalte wohl im Gedächtnis, dass kein Mann aus deiner Bande seine Frau, die Lady, verletzen darf.«
    Der Räuber kratzte sich den verlausten Kopf; diese launenhafte Gnade der Zauberin verwirrte ihn. »Warum jemanden verschonen, der hinterher reden könnte? Schlitz einen auf, schlitz alle auf und lass alles hübsch still zurück, sag ich immer.« Er grinste böse und entblößte dabei verfaulte, bräunliche Zähne. Margaret starrte ihn weiterhin mit mondsteinharten Augen an, bis sein Grinsen in sich zusammensank und er erzitterte.
    »Du wirst der Lady keinen Schaden zufügen«, wiederholte sie kalt. »Du wirst sie nicht töten, du wirst ihr keine Schnittwunde zufügen und keine Prellung, ja du wirst ihr kein einziges Haar krümmen. Geh jetzt und kehre zu mir zurück, wenn alle anderen Bewohner von Hartwick Manor tot sind.«
    Dann wandte Margaret das Gesicht von dem Gesetzlosen ab, als ob sie seinen Anblick nicht länger ertragen könne. Beklommen schlich er die Turmtreppe hinunter. Die Brise, die keiner erkennbaren Quelle entsprang, begleitete ihn. Dann verschwand er in dem düsteren Wald, um seine Bande zu sammeln und ihr von dem Auftrag zu berichten.
    An jenem Nachmittag und Abend braute Margaret nach Anweisung ihrer Bücher einen Schlafzauber zusammen. Kurz nach Sonnenuntergang setzte sie ihn auf einem feuchten und gewitterigen Wind frei. Dämon nach Dämon rief sie aus der Kammer des Flüsterns und schickte sie durch die Turmfenster. Bald heulte ein verzauberter Sturm über der Lichtung; er brachte Regen, der auf den Efeu prasselte.
    Länger als zwei Stunden stand Margaret am Fenster und schaute zu, wie ihre freudigen Dämonenwinde die Himmel schindeten. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal einen so wilden Sturm entfesselt hatte. Seit einiger Zeit hatte sie sich sehr nach innen gekehrt, dachte sie, und sich fast nur noch mit Zaubertränken, Wahrsagerei und bösen Sprüchen beschäftigt.
    Blitze spuckten Feuer über die Bäume von Hartwick und Margaret lachte vor Freude. Das war Macht: die Teufel der Hölle heraufzubeschwören, ihnen die Zügel ihres eigenen Willens anzulegen und das Chaos in den Händen zu halten. Sie hatte den Sturm als Beweis ihrer Fähigkeiten und zum Schutz für die Räuberbande entfacht. Nun erkannte sie, dass er ihr auch in anderer, persönlicherer Hinsicht dienlich war. Sie sah seine Wildheit als ein Wahrzeichen für ihre Magie an – für ihre Zauberei, die die Macht hatte, Margaret von den Fesseln der Angst zu befreien. Sie hatte einen Sturm erschaffen, als ihre Feindin sie zum ersten Mal bedrängt hatte; nun
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