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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Justizvollzugsanstalt Stammheim, Hochsicherheitstrakt A, 70439 Stuttgart. Einen
     Absender vermerkte er nicht.

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    2
    »Wir haben den Tyrannen getötet«, sagte Uwe Krems, »jetzt können sich die Demonstrationen in Leipzig entfalten, und die Arbeiter
     werden zur direkten Aktion übergehen.«
    Der Ältere verzog das Gesicht, als könne er das Gequatsche nicht mehr ertragen. Er klopfte sich eine neue Reval aus der Packung
     und steckte sie an.
    Sie saßen nun schon drei Tage in der geräumigen Wohnung in Derendorf auf der anderen Seite des Rheins. Uwe wunderte sich,
     dass Heinz den ursprünglichen Plan geändert hatte. Zunächst sollte er mit Kerstin allein in dieser Wohnung bleiben. Geplant
     war, dass Heinz in die Eifel fahren sollte, um die Waffe zu zerstören. Doch Uwe schien es, als habe Heinz nicht damit gerechnet,
     dass die Polizei so schnell Straßensperren aufbaute, Brücken sperrte und Düsseldorf in ein Meer von Blaulicht tauchte. Heinz
     sagte, die hektische Aktivität diene nicht der Fahndung, sondern solle die Bevölkerung beruhigen. Die Staatsmacht zeige, sie
     habe die Dinge im Griff – und in ein, zwei Tagen würde alles wieder so sein wie zuvor.
    Kerstin versorgte sie mit Brot, Fertigsuppen und Eiern. Sie hatte vor drei Wochen die Wohnung gemietet und mimte nun die brave,
     berufstätige Frau, die morgens das Haus verließ und abends um sechs Uhr zurückkam. Tatsächlich fuhr sie tagsüber nach Köln,
     wo sie eine Dauerkarte für den Zoo gekauft hatte. Der heftige Streit gestern Abend zwischen ihr und dem Genossen Heinz bedrückte
     Uwe. Kerstin wollte wissen, wie Heinz sie gefunden hatte, denn sie hatten sich nach zwei Jahren im Untergrund von den anderen
     Kommandos und von der Unterstützerszene zurückgezogen. Aus dem Überfall auf die Volksbank in Hochdorf waren noch zwanzigtausend
     Mark übrig, und mit diesem Geld wollten sie sich eine Weile ausruhen.Sie mieteten damals eine Wohnung im Koblenzer Stadtteil Lützel. Hier vermutet uns niemand, sagte Kerstin. Inmitten dieser
     riesigen Garnisonsstadt mit acht Kasernen und dreißigtausend Soldaten fahndet das BKA sicher nicht nach uns. Uwe hasste Koblenz
     vom ersten Tage an. Vielleicht hing das aber auch damit zusammen, dass er nun die Haare kurz tragen und dunkelbraun färben
     musste. Er schaute nur noch widerwillig in den Spiegel, aber Kerstin tat seine Bedenken mit einem Schulterzucken ab: Keine
     Ähnlichkeit mehr mit deinem Bild auf dem Fahndungsplakat.
    Doch Heinz hatte sie trotzdem gefunden.
    Er stand in der Bäckerei in der Löhrstraße plötzlich neben ihm und flüsterte ihm leise zu: »Nicht schießen – ich bin ein bewaffneter
     Kämpfer.« Trotzdem zuckte Uwes Hand zur 9mm-Walter, die in seinem Hosenbund steckte, aber er war viel zu langsam. Die Schrecksekunde
     dehnte sich endlos, und wären es Polizisten gewesen, die ihm hier auflauerten, läge er längst tot auf dem Boden neben den
     weggeworfenen Papiertüten im feinen Mehlstaub. So stockte seine Hand auf halbem Weg.
    Der unbekannte Genosse deutete mit einer Kopfbewegung nach draußen. Mit einigem Abstand folgte ihm Uwe zu dem Parkplatz hinter
     dem Rhein-Mosel-Center.
    Der Mann mit dem fahlgelben Haar stand neben einem Mercedes-Geländewagen und winkte ihn zu sich heran.
    »Steig ein, wir fahren eine halbe Stunde durch die Gegend. Dann bringe ich dich wieder hierher.«
    Uwe stieg ein, obwohl das allen abgesprochenen Vorsichtsregeln widersprach. Der Mann fuhr los und stellte sich als Heinz vor,
     ein Genosse aus Hamburg. Heinz trug einen blondgelben und trotzdem fahl wirkenden Bürstenschnitt, und Uwe wunderte sich, wie
     normal bei ihm diese militärische Frisur wirkte. Er hasste seine zur Tarnung kurz geschnittenen Haare und befürchtete insgeheim,
     irgendein Passant würde mit dem Finger auf ihn zeigen: Das da ist einTerrorist; ich habe ihn sofort erkannt, er hat sich nur die Haare abgeschnitten und braun gefärbt! Bei Heinz schien das anders.
     Er trug den Bürstenschnitt mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als wäre dies die Frisur, die er auch dann tragen würde,
     wenn er nicht im Untergrund leben würde.
    Uwe sah sich mehrmals um, fast schon instinktiv, ob ihnen nicht ein anderes Auto folgte. Ihm fiel auf, dass Heinz die Situation
     besser im Griff hatte. Er blickte nur selten in den Rückspiegel, sondern beobachtete stattdessen ihn. Immer wieder sah Heinz
     vom fließenden Verkehr weg und musterte ihn, nicht aufdringlich, sondern eher prüfend, als
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