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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Vater. Und einen Brief von ihm. Ich weiß, wie er aussieht, und
     ich weiß, wie er heißt: Caiolo, Stefano Caiolo.«
    »Und?«
    »Ich will ihn suchen. Ich habe im Internet gesucht. Es gibt einen Stefano Caiolo. In einem kleinen Dorf am Comer See.« Georg
     sah Mario an. Er spürte eine Unsicherheit an seinem Freund, wie er sie zuvor noch nie an ihm beobachtet hatte. Es schien,
     als würde Mario innerlich zittern, und er kam Georg plötzlich dünn und durchsichtig vor. Merkwürdig, dachte er, nun sind wir
     beide erwachsene Männer, die Liebe und Tod erlebt haben, und trotzdem gibt es Dinge, die uns wieder zu den ängstlichen Buben
     machen, die wir einmal waren.
    »Ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst jetzt mit mir zu den Stuttgarter Nachrichten, damit ich meine Anzeige aufgebe, und ich begleite dich an den Comer See.«
    »Die Weißwürste gehen auf meine Rechnung«, sagte Mario. Er zahlte, und sie verließen das Lokal.
    * * *
    »Das macht dann ...«, die Frau am Schalter der Stuttgarter Nachrichten schob ihre Lesebrille, die an einer dünngliedrigen Messingkette um ihren Hals hing, auf die Nase, »513 Euro und 26 Cent.«
     Sie sah ihn über die Gläser hinweg an.
    Mario stieß pfeifend die Luft aus.
    Zum ersten Mal an diesem Tag peinigte Dengler sein Kreuz und schickte wellenförmig einen sanften Schmerz, den er bis zum Schulterblatt
     spürte. Sein Guthaben bei der Citibank schrumpfte.
    »Wir nehmen auch die EC-Karte«, sagte die Frau, den Schock in seinem Gesichtsausdruck taxierend.
    Dengler nickte, zog seine Karte aus dem Geldbeutel und reichte sie über die Theke zu der Frau. Sie zog die Plastikkarte mit
     dem Magnetstreifen nach unten durch einen kleinen blauen Apparat, der nach einer Sekunde Bedenkzeit zu rattern begann. Die
     Frau, deren Brille nun wieder vor ihrem Busen baumelte, rückte die Maschine vor Dengler zurecht, und Dengler tippte »1421«
     ein, seine Geheimzahl. Wieder schien die Maschine kurz nachzudenken, dann druckte sie einen kleinen Zettel aus, den die Frau
     ihm überreichte.
    »Ich hoffe, die Anzeige bringt Ihnen Erfolg.«
    »Das hoffe ich auch«, sagte Dengler und verließ den Tagblattturm, in dem sich die Anzeigenannahme der beiden großen Stuttgarter
     Zeitungen befand.
    Am Freitag würde seine Annonce unter der Rubrik »Geschäftsverbindungen« erscheinen.»Nun bist du die Hoffnung aller betrogenen Ehemänner«, sagte Mario.
    Dengler fühlte sich nicht zu Scherzen aufgelegt.
    »Komm am Samstagabend zu mir«, sagte Mario, »wir kochen etwas Besonderes.«
    Dengler nickte, und dann verabschiedeten sie sich.
    Er wartete, bis Mario im Verkehrsgewühl verschwand. Erst dann überquerte er die Rotebühlstraße und bog in die Fußgängerzone
     ein. Die Sonne kroch zwischen großen Wolkenbergen hervor und schuf die erste Frühlingsatmosphäre in der Stadt. Eine Amsel
     probte auf einem Verkehrsschild unsicher den ersten Gesang, und die Königstraße war belebt wie immer. Aus den umliegenden
     Büros und Ministerien drängten sich Angestellte und Beamte in die Mittagspause. Cafés und Restaurants servierten bereits im
     Freien.
    Er ließ sich von dem Menschenstrom treiben. Er zog ihn mit sich, an dem kleinen Schlossplatz vorbei in Richtung Bahnhof.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend betrat er das Musikgeschäft Lerche. Dieser Laden unterhielt als Einziger ein eigenes Sortiment mit Bluesplatten, zwar nur im obersten Stockwerk und in der hintersten
     Ecke, aber immerhin. Er sah zunächst unter dem Buchstaben »W«, ob es eine neue Platte von Junior Wells gab, aber er fand nur
     die Aufnahme eines Chicagoer Live-Konzertes, die er schon besaß. Nun durchsuchte er systematisch das Regal und wurde unter
     »G« fündig. Von Buddy Guy gab es eine neue CD: »Sweet Tea« hieß sie. Er kaufte zwei Exemplare und ging wieder zurück auf die
     Königstraße.
    Nur wenige Schritte weiter saugte der Kaufhof seine Kundschaft in zwei riesige Portale ein. Dengler brauchte einen Briefumschlag
     und fädelte sich in den Menschenstrom vor dem Warenhaus ein; doch dann überlegte er es sich anders, arbeitete sich aus der
     Menge heraus, bog in eine kleinere Gasse und dann nach links in die Lautenschlagerstraße. Nacheinigen Schritten erreichte er einen kleinen Schreibwarenladen. Ein älterer Mann, dessen Gesicht mit unzähligen Altersflecken
     übersät war, verkaufte ihm missmutig einen DIN-A4-Briefumschlag. Noch im Laden schrieb Dengler die Adresse auf das Kuvert.
     Er kannte sie auswendig: Roman Greschbach,
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