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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Zunächst erlangte er eine reife Meisterschaft
     in allem, was er für italienische Küche hielt: Pasta in allen Varianten, Schwertfisch, Kalbfleisch in Zitronensauce. Dann
     erschloss er sich die badische, später die französische Küche. Obwohl er gerne las, erfreute ihn ein neues Kochbuch mehr als
     ein guter Roman.
    Als Mario sich in Sonja verliebte, dämpfte dies seine manische Art, sich in einen echten Italiener zu verwandeln. Ihr zuliebe
     zog er nach Stuttgart, in eine kleine Wohnung im obersten Stockwerk eines großen Hauses in derMozartstraße. Dort betrieb er nun in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer ein Einzimmerrestaurant, das er halb Sonja, halb seinem
     Lieblings-Beaujolais zuliebe »St. Amour« nannte. Für siebzig Euro pro Person kochte er die besten Gerichte, die Dengler je
     aß, und die erlesensten Menüs, die in Stuttgart zu haben waren. Im Preis enthalten waren ausgewählter Wein und ein Glas besten
     Crèmants. Kein Wunder, Marios Wohnzimmer wurde bald zum Geheimtipp von Stuttgarts Künstlerszene. »Es ist klasse, dass wir
     beide wieder in derselben Stadt wohnen«, sagte Mario, »warum hast du dir eigentlich Stuttgart ausgesucht?«
    »Mein Sohn Jakob wohnt hier. Er ist jetzt bald alt genug zu entscheiden, wohin er nach Schulschluss geht. Und ich hoffe, er
     kommt hin und wieder zu mir.«
    »Weißt du, Georg«, Mario wechselte rasch das Thema, als er sah, dass sein Freund nachdenklich auf die Tischdekoration starrte,
     »die Schwaben sind gar nicht so schlecht wie ihr Ruf.« Sie wurden von der hübschen, rothaarigen Bedienung unterbrochen, die
     sie nach ihren Wünschen fragte. Mario empfahl Dengler Weißwürste. Bei Brenners gäbe es die besten der Stadt. Die Frau notierte ihre Bestellung.
    »Als ich erst einige Wochen in Stuttgart wohnte, habe ich in der Straßenbahn das ganze Ausmaß der schwäbischen Subversivität
     kennen gelernt«, sagte Mario. »Interessiert es dich?«
    Dengler nickte.
    »Ich fuhr mit der Straßenbahn in die Stadt, um in dem kleinen Waschsalon am Hölderlinplatz meine Wäsche zu waschen. Sonja
     hatte mir einen Stapel Slips mitgegeben, die sie oben in die Tasche gelegt hatte. Da es nur ein paar Stationen waren, setzte
     ich mich nicht, sondern blieb an der Tür stehen und las in der neuen Ausgabe des Feinschmecker einen Artikel über die neue spanische Küche, von einem spanischen Superrestaurant bei Barcelona, heißt übrigens El Bulli – bei diesem Namen musste ich gleich an dich denken.«
    Dengler seufzte nachsichtig; er hatte davon noch nie gehört. »Plötzlich kippt meine Tasche um – und Sonjas Höschen purzeln
     durch die Straßenbahn. Ich musste sie vor aller Augen unter den Sitzen der Leute wieder aufsammeln.«
    Mario nahm einen Schluck Kaffee und fuhr fort. »Und während ich zwischen den Sitzen umherkrieche und die Slips zusammensuche,
     fängt ein älterer Mann im Lodenmantel an, lautstark mich zu beschimpfen, ich sei ein perverses Schwein. Ich bin völlig verdutzt.
     Da springt mir eine Frau zur Hilfe. Sie legt ihre Hand auf meinen Arm und sagt in breitestem Schwäbisch: ›Sie müsset die Frauen
     wohl sehr lieben!‹« Dengler lachte.
    »Im gleichen Augenblick«, sagte Mario, »greift ein Typ in Anzug und Krawatte ganz nebenbei nach Sonjas String-Tanga und stopft
     ihn in die Innentasche seines Jacketts. Ich schreie ihn an, er solle das Höschen hergeben; wir hätten nicht so viel Kohle,
     um unsere Unterwäsche in der Straßenbahn zu verschenken. Und außerdem sieht Sonja in diesem Zeug ziemlich scharf aus. Als
     ich dann am Charlottenplatz aussteige, kommt plötzlich ein anderer Mann auf mich zu und flüstert im Verschwörerton: ›Hier,
     ich habe auch noch eines gefunden‹, und zieht einen weiteren Slip aus seiner Manteltasche und steckt ihn mir heimlich zu.
     – Und zum Schluss stellt sich heraus, dass immer noch zwei fehlten.«
    Beide lachten, doch dann wurde Mario plötzlich ernst: »So, und jetzt erzähl, warum du kein Bulle mehr bist.«
    »Weißt du«, Georg hielt einen Moment inne, »es hat mit einem Traum zu tun ..«
    »Erzähl! Ich nehme Träume ernst.«
    »Ich werde verhaftet und lande in einer großen weißen Zelle, völlig ausgeleuchtet, ganz hell, wie man sie eher in einer Irrenanstalt
     als in einem Gefängnis finden würde, eine Fledermaus hängt kopfunter am Türrahmen und schaut mir zu. Ich werde an Händen und
     Füßen an ein Bett gebunden. Plötzlich steht die gesamte Führungsriege des BKA um michherum. Der Präsident brüllt mich
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