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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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an: Sie haben heute noch nicht gelogen! Dann schreit der Abteilungsleiter: Sie haben heute
     noch nicht gelogen! Und zum Schluss grölen sie im Chor: Sie haben heute noch nicht gelogen! – so laut und so lange, bis ich
     aufwachte.«
    Dengler fuhr fort: »Tatsache ist: Ich habe drei der meistgesuchten Terroristen verhaftet. Das ist nicht wenig für einen einzelnen
     Beamten. Aber bei den letzten Fällen wurde mir zunehmend unheimlich. Es gab immer wieder Hinweise, dass bestimmte Straftaten
     nur mit genauer Kenntnis der Polizeiarbeit begangen werden konnten. Doch jedes Mal, wenn ich in diese Richtung ermittelte,
     wurde ich zurückgepfiffen.«
    »Warum?«
    »Ermittlungsökonomie, wurde mir gesagt. Ich solle nicht Zeit und Geld in aussichtslose Ermittlungsstränge verschwenden. Jedes
     Mal, wenn sich die Dinge nicht in Richtung Terrorismus verdichteten, griffen die Vorgesetzten ein und stoppten die entsprechenden
     Projekte. Eine Zeit lang versuchte ich auf eigene Faust aufzuklären, aber das war schwer. Schließlich wurde mein direkter
     Chef, den ich eingeweiht hatte und der mir vertraute, in den Ruhestand versetzt. Dann verließ mich Hildegard mit dem Kleinen.
     Und dann kam dieser Traum.«
    Beide schwiegen. Die Rothaarige brachte ihnen die Weißwürste. Sie aßen.
    »Und nun willst du hinter untreuen Ehefrauen herjagen«, sagte Mario.
    »Oder hinter untreuen Ehemännern.«
    »Untreue Ehefrauen sind interessanter als untreue Ehemänner.«
    »Das ist wahr.«
    »Eigentlich ist das ungerecht. Wenn eine Frau fremdgeht, erntet sie Bewunderung: Sie verwirklicht sich selbst, bricht aus
     ihrem gewohnten Leben aus, ist eine Heldin. Betrügt jedoch ein Mann seine Frau, sagt jeder, das ist ein widerlichergeiler Sack. Wieder so ein Fall, in dem wir Männer benachteiligt sind.«
    Dengler sagte: »Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.«
    »Wie meinst du das?«
    »Wenn ein Tyrann einen Sklaven erschlägt, sagen wir zu Recht, er ist ein Verbrecher. Erschlägt jedoch ein Sklave den Tyrannen,
     so gilt ihm unsere Sympathie. Dem gesellschaftlich Schwächeren gilt unser Mitgefühl, wenn er einen Reichen oder gar die Obrigkeit
     betrügt. Dann kann das Verbrechen als eine Art ausgleichende Gerechtigkeit erscheinen. Wenn der Bankräuber seine Beute mit
     den normalen, einfachen Leuten teilt, wird er zum Helden. Aber solche Fälle gibt es schon lange nicht mehr.«
    »Und die ehebrechende Frau ist uns sympathischer als der untreue Mann, weil die Frauen immer noch nicht gleichberechtigt sind.«
    »So ist es.«
    »Dem Verbrecher nutzt die Sympathie nichts. Wenn er geschnappt wird, wird er trotzdem bestraft.«
    »Na ja, so einfach ist es nicht. Mein früherer Chef erzählte mir, die oberen Chargen in den siebziger Jahren hatten eine höllische
     Furcht davor, dass Baader-Meinhof nach einem Bankraub Geld auf der Straße an Passanten verteilten. Oder dass sie bei Entführungen
     verlangten, alle Sozialhilfeempfänger sollten 500 Mark bekommen oder solche Sachen. Wenn ein Verbrecher Ansehen in der Öffentlichkeit
     genießt, hat das für die Polizeiarbeit weit reichende Folgen. Es kann nötig sein, diese Zustimmung zu zerstören.« Er strich
     sich mit einer schnellen Bewegung ein paar Haare aus der Stirn: »Aber diese Sachen habe ich alle hinter mir.«
    Dann zog er den Computerausdruck aus der Tasche und schob ihn zu seinem Freund über den Tisch.
    »Das ist der Text für die Anzeige, die ich in den Stuttgarter Nachrichten aufgeben will.«»
    – Private Ermittlungen«, las Mario, »das hört sich an wie in einem amerikanischen Film. Hoffentlich gibt es viele betrogene Ehemänner in Stuttgart.
     Sonst helfe ich gern ein bisschen nach.«
    Dengler lachte nicht.
    Mario sagte: »Entschuldige, du weißt, wir Italiener können nichts anderes als blöde Witze machen.«
    »Mario, das stimmt nicht: Ihr könnt auch Opern singen und Spaghetti kochen.«
    Sie lachten.
    Die rothaarige Bedienung räumte ihre leeren Teller ab. Dengler bestellte für sich einen doppelten Espresso mit ein bisschen
     Milch. Mario nahm noch einen Milchkaffee. Als beides vor ihnen stand, wurde Mario plötzlich ernst. »Georg, ich habe eine Bitte.«
    »Schieß los.«
    »Du weißt doch – meine Mutter lag zehn Tage in der Uniklinik in Freiburg.«
    Dengler nickte.
    »In dieser Zeit habe ich etwas getan, dessen ich mich schämen sollte. Ich habe in ihren Unterlagen nach Hinweisen auf meinen
     Vater gewühlt – und ich fand ein Foto. Ein Foto von meinem
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