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Die blaue Liste

Die blaue Liste

Titel: Die blaue Liste
Autoren: Wolfgang Schorlau
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der griechischen Polizei, der Umfang der Operation mache eine Geheimhaltung unmöglich. Dengler verließ wütend die
     Sitzung.
    Später kam Dr. Schweikert zu ihm und schloss die Tür. »Dengler, vertrauen Sie mir?«
    Georg sah ihn erstaunt an: »Sie sind der einzig Vernünftige in diesem Laden.«
    »Dann geben Sie mir ein bisschen Zeit – und ärgern Sie sich nicht mehr.«
    Drei Tage später gab es grünes Licht für die Operation, ohne dass Dengler die Gründe für den Sinneswandel seiner Vorgesetzten
     erfuhr. Er plante zwei Monate, besprach sich mit den griechischen Kollegen, erstellte Excel-Tabellen mit Einsatzplänen und
     kümmerte sich um die Hotelzimmer der an der Aktion beteiligten Kollegen.
    Am dritten Tag der Überwachung schlenderte Rolf Heisemann mit einer schwarzen Ray-Ban-Sonnenbrille und einem weißen Leinenanzug
     an einen Kiosk am Hafen von Salonikiund verlangte in holperigem Griechisch eine Süddeutsche Zeitung – vier Stunden später begleitete Dengler ihn zum Haftrichter in Karlsruhe.
    Seither wurde er im BKA respektvoll »Dengler, der Denker« genannt. Dr. Scheuerle übertrug ihm nun den Fall Greschbach.
    Dengler arbeitete sich systematisch durch zwölf Ordner Hintergrundmaterial, die das Bundeskriminalamt zusammengetragen hatte:
     Vernehmungsprotokolle der Eltern und der Schwester, der Lehrer und sogar seiner Kindergärtnerinnen. Es fanden sich Kopien
     seiner Schulaufsätze, lange Ausarbeitungen zweier V-Leute aus der Freiburger Szene, die Greschbach kannten, vier unterschiedliche
     psychologische Gutachten, die das BKA in Auftrag gegeben hatte, Abhörprotokolle von Telefonaten seiner Jugendfreunde, mit
     denen Greschbach fast zwei Jahre in einer Band spielte und die sich weigerten, gegenüber der Polizei auszusagen.
    Lange studierte er die Kopien der Kontoauszüge: Sie sagen viel über den Menschen aus, dessen Leben man kennen lernen will.
     In Bankauszügen hinterlassen die Träume ihre Spuren – die verwirklichten, während sie über die unerfüllten freilich nichts
     aussagen. Dengler setzte zwei Beamte ein, die die Träume hinter den Zahlen dechiffrierten. Bei Hertie kaufte Greschbach sich eine Tauchausrüstung samt Schlauchboot und Harpune, vom vornehmen Herrenbekleider
     Bollerer stammten Jacketts – bis ins zweite Semester legte Greschbach Wert auf gute Kleidung und teuere Urlaube. Dann wurden
     die regelmäßigen Überweisungen der Eltern, die ihm pünktlich am Ersten eines jeden Monats gutgeschrieben wurden, am gleichen
     Tag abgehoben, und Dengler spürte das fühlbar Hektische, mit dem das Konto geplündert wurde.
    Setz dich hin und denke nach.
    Geld ist eine sichtbare und eine unsichtbare Größe, dachte er. Hinter jedem Gegenstand unseres Lebens steht eineunsichtbare Zahl. Hinter jeder Blume, die der Liebende seiner Geliebten bringt, steht eine Zahl. Hinter jedem Pullover und
     jeder Scheibe Brot – eine Zahl.
    Denk weiter nach.
    Was bedeuten diese unsichtbaren Zahlenreihen, die unser Leben begleiten? Sehen wir sie wirklich nicht oder nehmen wir sie
     nur unbewusst wahr, mit einem unbekannten Sinnesorgan? Sieht die Geliebte den verborgenen Preis der langstieligen Rose? Über
     was freut sie sich wirklich, wenn sie die Augen niederschlägt?
    Vor seinem geistigen Auge verschwamm die Welt zu einer unendlichen Reihe von Skalen, von sichtbaren und unsichtbaren Preisen.
    Denk weiter nach!
    Auch die Polizei richtet sich nach diesen unsichtbaren Tabellen. Warum würde niemals eine Polizeistreife auf der Frankfurter
     Zeil ohne Grund von einem Mann in einem 2000-Euro-Anzug die Personalpapiere verlangen, während sie bei einem anderen, dessen
     Klamotten vom Roten Kreuz stammen könnten, sich geradezu zwingend zu einer Kontrolle veranlasst fühlt? Welche Bedeutung haben
     die unsichtbaren Preisschilder für unser Leben?
    Seit diesem Abend, als er über den Fahndungsakten Roman Greschbachs gebrütet hatte, änderte Dengler seinen Kleidungsstil.
     Keine Jeans mehr oder Lederjacken aus der türkischen Boutique – niemand sollte seinen Status an seiner Kleidung erkennen.
     Seit diesem Tag trug er dunkelblaue Anzüge, und die erstaunten Blicke von Kollegen und Vorgesetzten überraschten ihn nicht.
    Greschbach schien sich diesem System entziehen zu wollen. Sein Konto gab nun keine Hinweise mehr auf die unsichtbare Spur
     des Geldes.
    Georg Dengler las die anderen Ordner, die speziell rot markierten Hefter mit den schrecklichen Fotos, mit den Berichten der
     Sprengstoffexperten und all die
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