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Die Bibliothek

Die Bibliothek

Titel: Die Bibliothek
Autoren: Umberto Eco
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Wissenschaftlers oder der Stiftung, die ihn fördert, was nicht unbedingt immer eine Garantie für den Wert und die Würde des Publizierenden ist. Kurzum, wir nähern uns durch die Xerozivilisation einer Zukunft, in der die Verlage - jedenfalls die wissenschaftliehen -
    fast nur noch für die Bibliotheken publizieren werden, und dessen sollten wir uns bewußt sein.
    Dazu kommt auf der persönlichen Ebene eine Foto-kopierneurose. Die Fotokopie ist etwas sehr Nütz-liches, aber oft stellt sie auch nur ein geistiges Alibi dar: wer die Bibliothek mit einem Stapel Fotokopien verläßt, hat in der Regel die Gewißheit, daß er sie nie alle wird lesen können, ja er wird sie nicht einmal alle wiederfinden, da sie leicht durcheinandergeraten, aber er hat das Gefühl, sich den Inhalt der Bücher angeeig-32

    net zu haben. Vor dem Aufkommen der Xerozivilisation hatte er sich lange handschriftliche Exzerpte in rie-sigen Lesesälen gemacht, und davon war stets etwas in seinem Kopf hängengeblieben. Mit der Fotokopier-neurose wächst die Gefahr, daß man ganze Tage in Bibliotheken vergeudet, um Bücher zu fotokopieren, die man nie lesen wird.

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    ch beschreibe die negativen Auswirkungen jener Idem Menschen gemäßen Bibliothek, in der ich trotz-dem froh bin zu leben, wann immer ich kann, doch das Schlimmste wird kommen, wenn eine Zivilisation der Lesegeräte und Mikrofiches die Zivilisation des Buches total verdrängt haben wird. Vielleicht werden wir eines Tages noch jenen Bibliotheken nachtrauern, die von Zerberussen bewacht werden, die den Benutzer als Feind betrachten und ihn am liebsten von den Bü-
    chern fernhalten würden, aber in denen man wenigstens einmal am Tag einen gebundenen Gegenstand in die Hand nehmen konnte. Wir müssen uns also auch dieses apokalyptische Szenario vor Augen führen, um das Pro und Contra einer dem Menschen gemäßen Bibliothek abzuwägen.
    Ich glaube, daß die Bibliothek der Zukunft mehr und mehr nach dem Maß des Menschen gestaltet sein wird, aber um nach dem Maß des Menschen gestaltet zu sein, muß sie auch nach dem Maß der Maschine gestaltet sein, vom Fotokopierautomaten bis zum Lesegerät, und dann wird es Aufgabe der Schule, der Kom-munen etc. sein, die Jugend und die Erwachsenen im Gebrauch der Bibliothek zu unterweisen. Die rechte Benutzung der Bibliothek ist eine subtile Kunst, es ge-nügt nicht, daß der Lehrer den Schülern sagt: »Wenn ihr die und die Arbeit macht, geht in die Bibliothek und holt euch das und das Buch.« Er muß den Schü-
    lern auch beibringen, wie man die Bibliothek benutzt, wie man ein Mikrofiche-Lesegerät benutzt, wie man einen Katalog benutzt, wie man sich mit den Verant-wortlichen der Bibliothek auseinandersetzt, wenn sie ihre Pflichten versäumen, und wie man mit den Ver-34

    antwortlichen der Bibliothek zu deren und aller Wohl kooperiert.
    Im äußersten Falle, wenn die Bibliothek nicht potentiell allen offenstehen soll, müßte man Kurse ein-richten wie zum Erwerb des Führerscheins, Kurse, die den Respekt vor dem Buch vermitteln und die Fähigkeit, es zu konsultieren. Eine sehr subtile Kunst, die zu lehren Aufgabe der Schule und der Erwachsenenbil-dung werden muß, denn die Bibliothek ist, wie wir wissen, eine Sache der Schule, der Gemeinde, des Staates. Sie ist eine Frage der Zivilisation, und wir haben keine Ahnung, wie unbekannt das Instrument Bibliothek den meisten noch immer ist.
    Wer in der heutigen Massenuniversität lebt, wo hochbegabte und weltgewandte junge Wissenschaftler mit anderen jungen Leuten zusammenleben, die zum ersten Mal mit der Welt der Kultur in Berührung kommen, kann unglaubliche Geschichten erleben. Zum Beispiel kommt da zu mir ein Student und sagt: »Ich kann dieses Buch in der Bibliothek von Bologna nicht konsultieren, weil ich in Modena wohne.« Ich weise ihn darauf hin, daß es auch in Modena Bibliotheken gibt. »Nein«, antwortet er, »da gibt es keine.« - Er hatte noch nie von einer gehört.
    Oder es kommt eine Doktorandin und sagt: »Ich ha-be die Logischen Untersuchungen von Husserl nicht finden können, in den Bibliotheken gibt es sie nicht. « Ich frage, in welchen Bibliotheken sie gesucht hat. »Hier in Bologna«, sagt sie, »und auch in meiner Heimat-stadt habe ich nachgesehen, da gibt es keinen Husserl.« Es kommt mir sehr merkwürdig vor, daß es die italienischen Übersetzungen von Husserl in der Uni-35

    versitätsbibliothck von Bologna nicht geben soll. »Na ja«, meint sie, »vielleicht sind gerade alle
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