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Die Bibliothek

Die Bibliothek

Titel: Die Bibliothek
Autoren: Umberto Eco
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Bibliothek. Doch wie in allen Fiktio-nen, die ähnlich den Karikaturen aus der Kombination von Pferdeköpfen auf Menschenleibern mit Sirenen-schwänzen und Sehlangenschuppen entstehen, kann, glaube ich, jeder von uns in diesem Negativmodell Elemente finden, die ihn an eigene Abenteuer in den entlegensten Bibliotheken unseres Landes und anderer Länder erinnern. Eine gute Bibliothek im Sinne einer schlechten Bibliothek (also ein gutes Beispiel für das Negativmodell, das ich hier aufzustellen versuche) muß zunächst und vor allem ein ungeheurer Alptraum sein, ein totales Horrorgebilde, und so gesehen ist die Beschreibung von Borges schon richtig.
    1) Die Kataloge müssen so weit wie möglich aufge-teilt werden: man verwende größte Sorgfalt darauf, den Katalog der Bücher von dem der Zeitschriften zu trennen und den der Zeitschriften vom Schlagwort-oder Sachkatalog, desgleichen den Katalog der neuer-worbenen Bücher von dem der älteren Bestände. Nach Möglichkeit sollte die Orthographie in den beiden Bü-
    cherkatalogen (Neuerwerbungen und alter Bestand) verschieden sein: beispielsweise Begriffe wie »Code«
    in dem einen mit C, in dem anderen mit K, oder Eigen-namen wie Tschaikowsky bei den Neuerwerbungen mit einem C, bei den anderen mal mit Ch, mal mit Tch.
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    2) Die Schlagworte müssen vom Bibliothekar bestimmt werden. Die Bücher dürfen, entgegen der üblen Unsitte, die sich neuerdings bei amerikanischen Büchern breitmacht, im Impressum keinen Hinweis auf die Schlagworte tragen, unter denen sie aufgeführt werden sollen.
    3) Die Signaturen müssen so beschaffen sein, daß man sie nicht korrekt abschreiben kann, nach Möglichkeit so viele Ziffern und Buchstaben, daß man beim Ausfüllen des Bestellzettels nie genug Platz für die letzte Chiffre hat und sie für unwichtig hält; so daß dann der Schalterbeamte den Zettel als unvollständig ausge-füllt zurückgeben kann.
    4) Die Zeit zwischen Bestellung und Aushändigung eines Buches muß sehr lang sein.
    5) Es darf immer nur ein Buch auf einmal ausgehändigt werden.
    6) Die ausgehändigten Bücher dürfen, da mit Leih-schein bestellt, nicht in den Lesesaal mitgenommen werden, so daß man sein Leben in zwei Teile aufspal-ten muß, einen für die Lektüre zu Hause und einen für die Konsultation im Lesesaal. Die Bibliothek muß das kreuzweise Lesen mehrerer Bücher erschweren, da es zum Schielen führt.
    7) Es sollte möglichst überhaupt keine Fotokopierer geben; falls doch einer da ist, muß der Zugang weit und beschwerlich sein, der Preis für eine Kopie muß höher 16

    sein als im nächsten Papiergeschäft und die Zahl der Kopien begrenzt auf höchstens zwei bis drei Seiten.
    8) Der Bibliothekar muß den Leser als einen Feind betrachten, als Nichtstuer (andernfalls wäre er bei der Arbeit) und als potentiellen Dieb.
    9) Fast das ganze Personal muß an irgendwelchen körperlichen Gebrechen leiden. Hier berühre ich einen heiklen Punkt, den ich keineswegs ironisch behan-deln möchte. Es ist Aufgabe der Gesellschaft, allen Bürgern Arbeitsmöglichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen, auch denen, die nicht mehr in der Blüte ihres Lebens oder im Vollbesitz ihrer Kräfte sind.
    Gleichwohl akzeptiert die Gesellschaft, daß zum Beispiel bei der Feuerwehr eine besondere Auswahl getroffen werden muß. In Amerika gibt es Universitätsbibliotheken, die alles tun, um den Behinderten die Benutzung zu erleichtern, durch schiefe Ebenen für Rollstuhlfahrer, Spezialtoiletten etc., wobei sie in ih-rem Bemühen so weit gehen, daß die anderen gefähr-det werden, die auf den schiefen Ebenen ausrutschen.
    Gewisse Tätigkeiten in einer Bibliothek erfordern jedoch einige Kraft und Geschicklichkeit: das Klettern auf Leitern, das tragen schwerer Lasten etc., während es andere Verrichtungen gibt, die man jedem Bürger anbieten kann, der trotz mancher Behinderungen durch sein Alter oder durch andere Umstände noch eine sinnvolle Arbeit tun möchte. Ich werfe hier das Problem des Bibliothekspersonals auf, da es meines Erachtens dem der Feuerwehrtruppe viel nähersteht als dem des Personals einer Bank, und dies ist sehr 17

    wichtig, wie wir noch sehen werden. Zunächst aber weitere Punkte.
    10) Die Auskunft muß unerreichbar sein.
    11) Das Ausleihverfahren muß abschreckend sein.
    12) Die Fernleihe sollte unmöglich sein oder jedenfalls Monate dauern; am besten, man sorgt dafür, daß der Benutzer gar nicht erst erfahren kann, was es in anderen Bibliotheken gibt.
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