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Die Bibliothek

Die Bibliothek

Titel: Die Bibliothek
Autoren: Umberto Eco
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Infolge all dessen muß Diebstahl möglichst leicht gemacht werden.
    14) Die Öffnungszeiten müssen genau mit den Ar-beitszeiten zusammenfallen, also vorsorglich mit den Gewerkschaften abgestimmt werden: totale Schlie-
    ßung an allen Samstagen, Sonntagen, abends und während der Mittagspausen. Der größte Feind jeder Bibliothek ist der Werkstudent, ihr bester Freund einer wie Don Ferrante, der seine eigene Bibliothek besitzt, also keine öffentliche aufsuchen muß und dieser die seine bei seinem Ableben hinterläßt.
    15) Es muß unmöglich sein, sich innerhalb der Bibliothek irgendwie leiblich zu stärken, und es muß auch unmöglich sein, sich außerhalb der Bibliothek zu stärken, ohne zuvor alle ausgeliehenen Bücher zurück-gegeben zu haben, um sie dann nach der Kaffeepause erneut zu bestellen.
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    16) Es muß unmöglich sein, das einmal ausgeliehene Buch am nächsten Tag wiederzufinden.
    17) Es muß unmöglich sein zu erfahren, wer das fehlende Buch ausgeliehen hat.
    18) Es darf möglichst keine Toiletten geben.

    19) Ideal wäre schließlich, wenn der Benutzer die Bibliothek gar nicht erst betreten könnte; betritt er sie aber doch, stur und pedantisch auf einem Recht behar-rend, das ihm aufgrund der Prinzipien von 1789 konze-diert worden ist, aber noch nicht Eingang ins kollektive Bewußtsein gefunden hat, so darf er auf keinen Fall, nie und nimmer, außer bei seinen raschen Konsultatio-nen im Lesesaal, Zugang zu den Bücherregalen selbst haben.

    19

    ibt es heute noch solche Bibliotheken? Ich über-Glasse die Antwort dem Leser, auch weil ich geste-hen muß, daß ich - verfolgt von zarten Erinnerungen (an Studien in der Biblioteca Nazionale zu Rom, als sie noch existierte, mit grünen Lampen auf den Tischen, oder an Nachmittage voll erotischer Spannung in der Sainte-Geneviève oder in der Bibliothèque de la Sor-bonne) - heute nur noch recht selten in Bibliotheken gehe, jedenfalls in Italien; nicht aus polemischen Gründen, sondern weil ich, wenn ich in Bologna bin, meist zuviel Arbeit habe, und im Seminar kann man einen Studenten bitten, das gewünschte Buch zu besorgen und zu fotokopieren; und wenn ich in Mailand bin, was höchst selten der Fall ist, gehe ich immer nur in die Städtische Bibliothek, weil sie den praktischen Einheitskatalog hat. Im Ausland allerdings gehe ich häufig in Bibliotheken, denn wenn ich im Ausland bin, ist mein Beruf, ein Mensch im Ausland zu sein, das heißt, ich habe mehr Zeit als zu Hause, ich habe die Abende frei, und in vielen Ländern kann man abends in Bibliotheken gehen.
    Statt also hier nun die Utopie einer perfekten Bibliothek auszumalen, von der ich nicht weiß, ob und inwie-weit sie jemals realisierbar sein wird, will ich lieber von zwei nach Menschenmaß zugeschnittenen Bibliotheken berichten, die ich beide sehr schätze und, sooft ich irgend kann, besuche. Damit will ich nicht sagen, daß sie die besten der Welt seien und daß es nicht auch noch andere gäbe; es sind nur diejenigen, die ich zum Beispiel im vorigen Jahr mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht habe, vier Wochen lang die eine, die andere drei Monate lang. Es sind die Sterling Library 20

    in Yale und die neue Bibliothek der Universität Toronto.
    Sie sind sehr verschieden voneinander, mindestens so verschieden wie - um ein Beispiel aus Mailand zu nehmen - der Pirelli-Wolkenkratzer und Sant'Am-brogio, gerade auch in der Architektur: die Sterling Library ist ein neugotisches Kloster, die Universitätsbibliothek in Toronto ein Meisterwerk der modernen Architektur. Trotz aller Unterschiede will ich jedoch versuchen, die beiden zu einem Bild zu verschmelzen, um zu erklären, warum sie mir so gefallen.
    Sie sind bis Mitternacht geöffnet, auch am Sonntag (die Sterling Library öffnet am Sonntag erst mittags und bleibt freitagabends geschlossen). In Toronto gibt es gute Verzeichnisse, auch eine Reihe von Bildschir-men und computerisierten Karteien, die leicht zu handhaben sind. In der Sterling sind die Verzeichnisse noch etwas antiquierter, aber Autoren- und Sachkatalog sind zusammengefaßt, so daß man zu einem bestimmten Thema beispielsweise nicht nur die Werke von Hobbes findet, sondern auch die Werke über Hobbes. Außerdem enthält der Katalog auch Hinweise auf die Bücher, die sich in anderen Bibliotheken der Ge-gend befinden.
    Das Schönste an diesen beiden Bibliotheken ist aber, zumindest für eine bestimmte Sorte von Lesern, daß man Zugang zu den stacks hat. Mit anderen Worten, man muß
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