Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bibliothek

Die Bibliothek

Titel: Die Bibliothek
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Cafeteria, das Seifservice-Restaurant im Untergeschoß, wohin man die Bücher mitnehmen darf, wo man also weiterarbeiten kann, an einem Tischchen sitzend mit einem Kaffee und einer Brio-che, auch mit einer Zigarette, um die Bücher zu prüfen und zu entscheiden, ob man sie ins Regal zurückbrin-gen oder ausleihen soll, ohne jede Kontrolle. In Yale wird die Kontrolle am Ausgang vorgenommen, von einem Angestellten, der mit eher zerstreuter Miene einen Blick in die Tasche wirft, die man hinausträgt; in Toronto sind die Buchrücken magnetisiert; der junge Student, der die auszuleihenden Bücher registriert, führt sie über ein Gerät, das die Magnetisierung ent-fernt, danach geht man durch eine elektronische Schleuse wie auf einem Flughafen, und wenn jemand den Band 108 der Patrologia latina in der Jackentasche versteckt hat, schrillt eine Klingel.
    Natürlich ist in solchen Bibliotheken die Mobilität der Bücher sehr hoch, so daß es schwierig sein kann, das Buch zu finden oder wiederzufinden, das man gerade sucht oder das man am Vortag konsultiert hatte.
    Anstelle der allgemeinen Lesesäle gibt es sogenannte
    »Boxen«, separate kleine Arbeitsräume, die man sich geben lassen kann, wenn man wissenschaftlich arbei-tet. Dort kann man seine Bücher aufbewahren und arbeiten, wann man will. In einigen dieser Bibliotheken kann man jedoch auch, wenn man ein Buch nicht findet, in wenigen Minuten erfahren, wer es ausgeliehen hat, und den Betreffenden anrufen.
    All das hat zur Folge, daß es in diesen Bibliotheken 25

    sehr wenige Aufseher und sehr viele Angestellte gibt, genauer gesagt eine Sorte von Funktionären, die halb richtige Bibliothekare und halb Hilfskräfte sind, ge-wöhnlich Studenten, die sich auf diese Weise, full-time oder part-time, ihr Studium verdienen. In einer Bibliothek, in der alle ständig umhergehen und sich Bücher aus den Regalen nehmen, bleiben dauernd irgendwo Bücher liegen, die nicht wieder eingestellt worden sind, also gehen diese Studenten mit enormen Draht-korbwagen durch die Reihen, sammeln ein, was her-umliegt, und kontrollieren, ob die Bücher mehr oder weniger da stehen, wo sie hingehören (sie tun es nie, was das Abenteuer der Suche steigert). In Toronto ha-be ich einmal fast keinen einzigen Band der Patrologia latina von Migne finden können; eine solche Zerstö-
    rung des Begriffs der Präsenzbibliothek würde einen sensiblen Bibliothekar verrückt machen, aber so ist es nun mal.
    Für mich ist eine solche Bibliothek wie geschaffen, ich kann ganze Tage voller Seligkeit darin verbringen: Ich lese die Zeitung, nehme mir Bücher mit in die Cafeteria, gehe mir anschließend neue holen, mache Entdeckungen. Eigentlich war ich gekommen, um mich, nehmen wir an, mit englischem Empirismus zu befassen, statt dessen fange ich an, den Aristoteles-Kommentaren nachzugehen, irre mich im Stockwerk, gelange in eine Abteilung, die ich von mir aus nie betreten hätte, lauter medizinische Bücher, aber dann stoße ich unversehens auf Werke über Galenus, also mit philosophischen Querverweisen . . . So erlebt, wird die Bibliothek zu einem Abenteuer.

    26

    as sind aber nun die Nachteile dieser Art von W Bibliotheken? Zweifellos Diebstähle und Zerstörungen: trotz aller elektronischen Kontrollen ist das Bücherklauen in einer solchen Bibliothek viel leichter als in einer der unseren. (Allerdings hat mir erst kürz-lich der Direktor einer berühmten italienischen Bibliothek erzählt, man habe einen Dieb entlarvt, der sich fünfundzwanzig Jahre lang in aller Ruhe die schönsten Inkunabeln mit nach Hause genommen hatte: er besaß alte Bände mit Signaturen längst vergangener Bibliotheken, brachte sie mit, trennte die Seiten heraus, löste den Buchblock des zu stehlenden Bandes aus dem Einband, legte ihn in den alten Einband und ging mit seiner Beute hinaus; auf diese Weise muß er sich in fünfundzwanzig Jahren eine wunderbare Bibliothek beschafft haben.)
    Diebstahl ist überall möglich, aber ich glaube, das Prinzip einer offenen Bibliothek mit freier Zirkulation ist, daß sie den Diebstahl durch Ankauf neuer Exemplare wettmacht, auch wenn es sich um antiquarische Bücher handelt. Ein Millionärsprinzip, gewiß, aber ein Prinzip. Die Grundfrage ist, ob man will, daß die Bücher gelesen werden können, oder nicht; will man es und wird dann ein Buch gestohlen oder zerstört, so kauft man eben ein neues. Kostbare Handschriften werden selbstverständlich in besonderen Abteilungen aufbewahrt und besser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher